Nein, Feministinnen seien sie nicht, sagte Geri Halliwell alias Ginger Spice Ende der 1990er-Jahre. Es war die Zeit, als Feminismus in gewissen Kreisen noch als Schimpfwort galt. Gleichzeitig taten die Spice Girls genau das: Feminismus vorleben, und zwar seit Anbeginn ihrer Karriere. Aus der männerdominierten Unterhaltungsindustrie und Boulevardpresse blies ihnen dafür ein heftiger Gegenwind entgegen. Aber der Reihe nach.
Scary, Ginger, Sporty, Baby und Posh
Mit einem Zeitungsinserat suchen Talent Scout Bob Herbert und dessen Sohn Chris nach Kandidatinnen für eine Girlband. Das Casting findet am 4. März 1994 statt. Über 600 Frauen haben sich dafür angemeldet. Nach dem Vorbild von männlichen Boybands wie Take That sollen auch die Spice Girls ein möglichst heterogenes Bild bieten, um eine breite Fangemeinde anzusprechen. So finden Scary (Melanie Brown), Ginger (Geri Halliwell), Sporty (Melanie Chisholm), Baby (Emma Bunton) und Posh Spice (Victoria Beckham) zusammen. Die Formel funktioniert.
«I tell you what I want»
Die Spice Girls erobern Mitte der 1990er-Jahre im Nu die Welt. Das tun sie nicht nur mit ihren kecken Dance-Pop-Songs, sondern auch durch ihre aufmüpfige Art und die selbstbewusste Message, die sie verbreiten: «I tell you what I want, what I really, really want». Was sie wollen, ist etwas anderes als das Management will.
Darum lösen die Spice Girls den Vertrag kurzerhand auf. Um sicherzugehen, dass sie die Kontrolle über die eigene Arbeit behalten können, klauen sie die Master-Aufnahmen aus dem Verwaltungsbüro. 1995 holen sich die fünf Frauen Musikproduzent Simon Fuller an Bord. Nur ein Jahr später steht die erste Single «Wanna Be» in über 30 Ländern auf Platz eins der Hitparade.
Spicemania
Der Erfolg des ersten Albums «Spice» (1996) ist beispiellos. In Anlehnung an den Hype um die Beatles und die Beatlemania spricht die Presse von Spicemania. Nur neun Monate nach dem Debüt folgt das zweite Album «Spice World» und auch das wird zum globalen Bestseller, ebenso der Kinofilm «Spice World – Der Film». Die Spice-Girl-Maschine läuft.
Männerdomäne Unterhaltungsindustrie
Die Unterhaltungsindustrie ist in den 1990er-Jahren eine Männerdomäne. Doch die Spice Girls halten dagegen. Im Unterschied zu vielen ihrer männlichen Boyband-Kollegen sind sie von Anfang an aktiv an der Entstehung ihrer Hits beteiligt. 1997 entlassen sie Simon Fuller und nehmen sämtliche Geschäfte selbst in die Hand. Da sind die Spice Girls gerade mal Anfang 20.
Die Presse schlägt sich auf die Seite des entlassenen Produzenten und bezeichnet die Girlgroup als undankbar. Dass junge Frauen ohne männliche Hilfe im Showbusiness reüssieren können, ist nicht vorgesehen.
Girlpower!
Bei jedem ihrer Auftritte zelebrieren und skandieren die Spice Girls lauthals Girlpower. Der Ausdruck ist nicht neu, sondern stammt aus der Riot-Grrrl-Subkultur, also einer feministischen Bewegung aus dem US-Punk-Untergrund. Girlpower steht für eine selbstbewusste Haltung von Mädchen und jungen Frauen. Das Kernanliegen: sich gegenseitig unterstützen und feiern und so weibliche Solidarität und Selbstermächtigung fördern.
Gleichzeitig werden Stimmen laut, die den Spice Girls vorwerfen, den Begriff Girlpower nur als hohle Phrase zu missbrauchen, um damit möglichst viel Geld zu verdienen. Tatsächlich gibt es tonnenweise Girlpower-Merchandise zu kaufen. Allein im Jahr 1997 sollen die Spice Girls über 300 Millionen britische Pfund mit Marketingeinnahmen gemacht haben, was damals rund 770 Millionen Schweizer Franken entsprach.
Prince Charles den Po getätschelt
Die Spice Girls sind eine laute, freche, wilde Bande, die gesellschaftlich definierte Grenzen sprengt und dabei auch mal einem Prinzen den Po tätschelt.
Frauen, die dem traditionellen Rollenmuster so selbstbewusst widersprechen und dabei auch noch erfolgreich sind, haben einen schweren Stand in den 1990er-Jahren. Es ist die Zeit der «Lad Culture» in England. Als Reaktion auf den neuen, als verweichlicht empfundenen Mann zelebrieren die Lads ein stereotypes Männerbild. Saufen, pöbeln und «Miezen» nachpfeifen, etwa so lässt sich das Parteiprogramm der «Lad Culture» zusammenfassen. Dass hier Girlpower nicht gut ankommt, versteht sich von selbst.
Hasskampagnen
Auch die englische Boulevardpresse schiesst scharf gegen die Spice Girls. Es vergeht kein Tag ohne vermeintlichen Skandal. Was harmlos beginnt, wird bald zur veritablen Hasskampagne. Zeitungen wie The Sun und Daily Mirror scheinen eine Art persönlichen Krieg gegen die fünf Frauen zu führen. Dabei werden zum Teil abstruse Theorien konstruiert.
Als die Spice Girls 1998 auf Welttournee sind, wird bekannt, dass sowohl Melanie Brown als auch Victoria Beckham schwanger sind. Die beiden sind zu dem Zeitpunkt 23- und 24-jährig. Weil die Spice Girls Vorbilder seien für viele junge Mädchen, seien Melanie und Victoria nun mitverantwortlich für die vielen Teenager-Schwangerschaften in Grossbritannien, schreibt The Express.
Schlachtfeld weiblicher Körper
Die Geschichte der Spice Girls ist auch eine Geschichte über die harten Bandagen, mit denen in den 90er- und 00er-Jahren erfolgreiche Frauen medial angegangen werden. Dabei wird der weibliche Körper zum Schlachtfeld. Scary, Ginger, Sporty, Posh und Baby Spice werden nicht an ihrem Erfolg gemessen, sondern an ihren Kleidergrössen.
Wahlweise wird in den Boulevardzeitungen mit Häme auf Speckröllchen hingewiesen oder Witze über Bulimie gerissen. In einer TV-Sendung zieht ein Showmaster eine Personenwaage unter dem Tisch hervor. Er verlangt von Victoria Beckham, die wenige Wochen vorher ein Kind zur Welt gebracht hat, dass sie sich daraufstelle. «Not bad at all», kommentiert er ihr Gewicht.
Die Parameter, in denen sich junge Frauen im Showbusiness bewegen dürfen, sind eng gesteckt. Nicht zu dick oder zu dünn, nicht zu gross oder zu klein, nicht zu laut und zu anspruchsvoll sein. Oft sind es ausgerechnet andere Frauen, die am strengsten hinschauen und am lautesten kritisieren, weil sie es nicht anders gelernt haben. Die Spice Girls halten den rauen Gegenwind so lange aus, wie sie sich selbst haben. Die Gang im Rücken verlieh ihnen Macht und Selbstvertrauen.
Ausstieg Halliwell
Mit dem Ausstieg von Geri Halliwell beginnt das Selbstvertrauen zu bröckeln. Offizieller Grund: kreative Differenzen, Erschöpfung, Desillusionierung. Die Nachricht wird von Medien auf der ganzen Welt als Top-News-Story behandelt. Es folgt eine Tour zu viert, dann versuchen sich die Spice Girls in Solokarrieren. Keine schafft einen vergleichbaren Erfolg, wie er den Spice Girls geglückt war. Die Girlpower fehlt.
Als die fünf Frauen zehn Jahre später eine Spice-Girls-Reunion-Tour ankündigen, sind die 20'000 Plätze für das Konzert in London innerhalb von 38 Sekunden ausverkauft. Bis heute sind die Spice Girls mit rund 100 Millionen verkauften Tonträgern die erfolgreichste Girlgroup aller Zeiten.
Feminismus ohne Deklaration
Hinter der Girlpower der Spice Girls steckte eine ausgeklügelte Marketingstrategie, die sehr viel Geld einbrachte. Das soll aber nicht heissen, dass Girlpower einfach nur eine hohle Phrase war. Auf der ganzen Welt identifizierten sich junge Mädchen mit der Message der Spice Girls: gegenseitiger Respekt und Support statt Konkurrenzdenken, selbstbewusst einen Platz beanspruchen, anstatt die Welt den Männern zu überlassen.
Dank Girlpower fanden viele Menschen Zugang zu feministischem Denken, ohne dass es als Feminismus deklariert worden wäre. Ausserdem waren die Spice Girls Vorbildfiguren derjenigen Generation, die rund zwei Jahrzehnte später die #metoo-Bewegung anstossen würde.
Die dreiteilige Filmdokumentation «Spice Girls – Girl Power erobert die Welt» ist auf Play SRF zu sehen.