Zu Beginn des Albums «Paul» ist eine etwas plump inszenierte Vorstellungsrunde einer Gruppentherapie zu hören. Mit dabei Paul Würdig alias Sido. Wir sitzen mit ihm im Kreis. Und damit im Fadenkreuz aus Drogensucht, Vater-Komplexen, Dämonen, Suizidgedanken, Selbsthass und Liebeskummer – alles andere als einfache Themen.
Während der Corona-Pandemie hatte der Rapper aus Berlin zunehmend mit Suchtproblemen zu kämpfen. In der Folge trennte er sich nach acht Jahren von seiner Ehefrau Charlotte Würdig.
Sex, Drugs and Rock n’Roll – Scheidungsgrund. Scheissegal, ich bin aus Stein. Nein, ich wein' nicht drum. Doch wenn ich alleine bin, dann wein' ich drum.
Und versank endgültig im Drogensumpf, bis er sich von seiner Ex-Frau in eine Entzugsklinik fahren liess. Rückblickend das Beste, das ihm passieren konnte. Sonst, so Sido, hätte er den Sommer nicht überlebt.
Wie Sido Paul verdrängt hat
Die Therapie hat Schmerzhaftes, das er verdrängt hatte, ans Licht gebracht: Der in den frühen Sido-Jahren mit dem Erfolg verlorengegangene Paul, der mit der Veröffentlichung des Soloalbums «Maske X» und dem Durchbruch 2004 den Kürzeren zog.
«Zu dem Zeitpunkt wurde Sido geboren und Paul ist auf der Strecke geblieben», sagt der Rapper. Sido habe wie eine Maschine funktioniert und schliesslich so viel Raum eingenommen, dass es keinen Platz mehr gab für Paul.
Selbsterklärtes Ziel der neuen Platte ist, den vermissten Paul wieder aufleben zu lassen. Das eigene Leiden in ein Album umzumünzen, schafft Paul Würdig aber nicht ganz ohne den Auslöser. Sidos Sucht und die damit verbundene Lebenskrise ziehen sich durch die Songtexte.
Das Album lebt von Metaphern. Er rappt von Tagen, die sich anfühlen, wie «atmen unter Wasser» oder von «Flaschen auf den Grund gehen». Auf «Paul» ködert Sido mit Ängsten und Schwächen, bleibt aber oft bei Rap-Star-Klischees, und uns etwas schuldig. Wesentlich mehr gibt er in den zahlreich erschienenen Interviews preis.
Das Leben ohne Vater
«Am einfachsten ist mir das Atmen als Kind gefallen, als ich einfach in Mamas Armen lag», sagt er im Interview mit SRF 3. Mit den ersten Pflichten falle einem das Atmen schwer, mit Kindern noch schwerer: «Weil das eine Aufgabe ist, die man unbedingt gut machen möchte.»
Vielleicht bin ich meinem Vater einfach zu ähnlich.
In der Therapie hat Sido festgestellt, wie stark eine Vaterfigur in seinem Leben gefehlt hat. Dabei hadert er auch mit seiner eigenen Vaterrolle und beschreibt die Angst, seinen vier Söhnen kein besserer Vater zu sein.
Album als Weiterführung seiner Therapie
Musikalisch zielt das Album darauf ab, grosse Reichweite zu generieren, so wie es Sido bereits dank der Promoaktion gelungen ist. Mit seiner Drogen- und Lebensbeichte zeigte er sich nahbar, verletzlich und persönlich.
Dass er sich in seiner Rolle als Deutschrap-Legende verlor, sorgte für Schlagzeilen. Die Fortsetzung gibt es nun mit «Paul», mit eingängigen Hooks und Strophen mit selbst therapierenden Rap-Parts, auf denen er sein Herz ausschüttet.
Ich weiss, dass ich eine Macke habe. Damit muss ich leben. Das bringt Höhen und Tiefen in mein Leben, aber ich weiss jetzt damit umzugehen.
Zweifellos fühlt sich der 42-Jährige nach acht Wochen Klinikaufenthalt besser. Der Entzug mit therapeutischer Begleitung hat ihm neue Erkenntnisse gebracht, die er mit uns auf einem Album teilt.
Obwohl Paul Würdig mit sich selbst Frieden geschlossen zu haben scheint, rappt er im Song «3 Monde»: «Ich komm’ überall rein, nur nicht ins Reine.» Das Bewusstsein, nicht ins Reine kommen zu können, lasse ihn besser fühlen.
