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Musik-Blog Beerdigt #metoo den «Rock’n’Roll»?

Die Pop-Musik unterschiedlichster Genres durchlebt in Zeiten der #metoo-Debatte eine herausfordernde Zeit. Sexismus-Vorwürfe gegen Songtexte, Künstler und ganze Szenen werden laut. Die Debatte ist richtig und wichtig. Aber alles andere als einfach.

Zu sexistischem Metal, diskriminierendem Pop oder frauenfeindlichem Rap kommen wir gleich. Wo der Spass bleibt, wo er allenfalls aufhört und ob Einordnungen à la «Das ist Satire, du Vollidiot» gerechtfertigt sind, ist ebenfalls Teil dieses Blogs. Anfangen muss ich hier aber mit einem Zeitsprung: Wir landen in den 1980er Jahren, bei meiner Mutter und einem Hardrock-Shirt.

Gregi Sigrist

Gregi Sigrist

Musikjournalist für Pop/Rock von Schweizer Radio und Fernsehen

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Im Musik-Blog schaut er auf, unter und hinter aktuelle Musikthemen und ihre Nebengeräusche.

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Die Brüste auf dem Fan-Shirt

Meine Mutter fand den unendlich tiefen Ausschnitt der vollbusigen Comic-Figur auf meinem Aerosmith-Shirt sexistisch. Das war Ende der 1980er-Jahre. Ich weiss noch, wie sie sich weigerte dieses Shirt zu bügeln. Ich bestrafte sie mit Worten wie verklemmt, bieder und rückständig. Rückblickend finde ich meine Mutter für diesen Akt des Widerstands aber sogar ein klein wenig Rock’n’Roll.

Ficken, Bumsen, Blasen

Es war die Zeit, als auf unseren Shirts «Ficken, Bumsen, Blasen» stand und wir den Song «Hofgarten» der Toten Hosen lauthals mitgrölten. Wir fanden das wahrscheinlich so kühn und lustig, wie es Kleinkindern Spass macht, «Gaggifurz» später «Gopferdammi» und noch etwas später «Fick di» rumzuschreien.

Bei mir zuhause herrscht gerade die Phase zwischen «Gaggifurz» und «Gopferdammi». Noch kann ich schmunzeln. Mehr als schmunzeln und einen alten Song durch eine Ansage einordnen, bleibt auch Campino nicht, wenn er Jahre später seinen «Gaggifurz» von damals auf der Bühne performt.

Provokationen sind gut und wichtig. Sie funktionieren am besten im Spiel mit verschiedenen Perspektiven, Generationen und dem Wandel der Zeit. Kein Wunder also ist die Bandbreite der Wahrnehmung riesig, wenn es darum geht, ob etwas geht oder eben nicht geht.

Guns N’ Roses, Farid Bang und Lo & Leduc

Es ist 2018. Der Hashtag #metoo hat die Popmusik erreicht. Gitarrengott Slash muss sich im Rolling Stone zu Sexismus-Vorwürfen von alten Guns N’ Roses Songs äussern. Radiostationen wissen nicht so recht, wie damit umgehen, wenn Rapper wie Farid Bang Nummer Eins-Alben produzieren. Und die #metoo-Debatte erreichte auch Lo & Leducs Sommerhit «079».

Aus meiner Sicht ist die Guns N’ Roses-Geschichte verjährt und der Entscheid der Band beim 2018 erschienen Box-Set auf den Skandal-Song «One In A Million» zu verzichten, richtig. Die Sache mit Farid Bang empfinde ich als äusserst schwierig und die Sexismus-Debatte um «079» als lächerlich.

Andere sehen das anders. Ich sehe das so. Heute. Was in 20 Jahren ist, weiss ich nicht. Ich weiss aber, dass dann ein anderer Zeitgeist herrscht. Dass dann die heute 20-Jährigen 40 sind. Und, dass Musik, im speziellen die Musik mit Rock’n’Roll-Attitüde, nicht nur den Zeitgeist – sondern der Zeitgeist eben auch die Musik prägt.

Sex and Drugs and Political Correctness?

Wohin also geht die Reise? Lachen wir in 20 Jahren über Rap-Zitate wie «Dein Chick ist 'ne Broke-Ass-Bitch, denn ich fick' sie, bis ihr Steissbein bricht» (Kollegah & Farid Bang «Ave Maria») so, wie wir heute über Campinos «Ficken, Bumsen, Blasen» schmunzeln? Oder erscheinen uns solche Zitate der Popgeschichte irgendwann so absurd, wie der Fakt, dass im Zoo Basel vor gut 100 Jahren nebst Löwen und Giraffen auch «echte Neger und Indianer» ausgestellt waren?

Bleibt die inzwischen äusserst konservative und dementsprechend konservierte Metal-Szene so standhaft, dass es in 20 Jahren immer noch (oder wieder) das Normalste der Welt ist, wenn Frauen an Konzerten auf den Schultern von Männern blankziehen?

Ich weiss es nicht. Was ich aber weiss ist, dass Gleichgültigkeit und Sätze wie «Es ist einfach wie es ist», 2018 nicht mehr zählen.

Das Satire-Etikett als feiger Akt der Diskussionsverweigerung

Was mir persönlich sauer aufstösst, ist die streckenweise vorhandene Verweigerung jeglicher Diskussion. Insbesondere der Hip Hop läuft Gefahr, ein ebenso konservatives Scheuklappen-Genre zu werden, wie das der Metal seit Jahrzehnten ist. «Das ist eben Battle-Rap» heisst es dann zum Beispiel, wenn man sich über den Inhalt von fragwürdigen Textstellen und deren Wirkung unterhalten möchte. Oder: «Das ist total überzeichnet – Satire – bewusste sexistische Kacke eben - chill».

Bloss sexistische Kacke?

Nein, liebe Leute. So einfach ist das nicht. Wenn Songs und Alben mit explizit menschenverachtenden, frauenfeindlichen und diskriminierenden Texten auf den vordersten Rängen der Hitparaden landen, dann ist es nicht mehr einfach eine Szene, die die Auslegung ihrer Inhalte selber deklariert. Dann ist es Pop-Kultur.

Die Pop-Kultur ist ein Spiegel der Gesellschaft. Pop muss sich seiner Verantwortung bewusst sein und über Pop muss debattiert werden können. Und: Pop ist Kunst.

Was aber darf Kunst? Ich finde grundsätzlich – Kunst darf alles. Kunst muss nach wie vor alles dürfen. Wir sollten uns aber vielleicht häufiger die Frage stellen, was Kunst tatsächlich muss?

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