Wer Fragen zur Wirkung oder Auswirkung, zum Umgang und der Relevanz des aktuellen deutschen Strassenraps hat – und diese auch stellt – kann sich seiner Feinde sicher sein. Die Szene mag keine Fragen. Sie besteht aus Antworten. Das lustvolle und selbstironische Spiel des Angebertums, welches wir aus anderen Rap-Subgenres kennen, greift beim Strassenrap kaum noch. Das grosse Business, das hier dahinter steckt, hat seinen Protagonisten das zuckende Lächeln in den Mundwinkeln rabiat entfernt.
Reflektiert wie Bush und Trump
Wer sich kritisch über Battle- oder Strassen-Rap äussert, wird im Normalfall schnell zurechtgewiesen. Mehr als Floskeln und Angriffe wie «Du hast einfach keine Ahnung» oder «Du bist eben ein Bünzli» oder «Du checkst den Sarkasmus einfach nicht» kriegt man selten zu hören. Kein Wunder. Das Genre scheint mir etwa so verunsichert, wie George W. Bush damals oder Donald Trump heute und schreit deshalb ähnlichen Quatsch in die Gegend wie «Du bist entweder für oder gegen uns», oder man zieht das selbstgemalte Poker-Ass auf welchem «Lügenpresse» steht.
Kritik ist unerwünscht
Nach dem unglücklichen Auftritt von Capital Bra am Openair Gampel spielten sich absurde Szenen ab. Aufgrund meines Blogs entzog uns das Management des Rappers die Übertragungsrechte und drohte SRF mit rechtlichen Schritten, sollte es zu weiteren «negativen Äusserungen» in Bezug auf Capital Bra kommen.
Eine solche Reaktion zeigt eindrücklich, wie in diesen Kreisen gearbeitet wird. Leicht totalitär. Was irgendwie auch verständlich ist. Denn: Reflektierte Debatten über Capital Bra und seine Kunst helfen der Durchlauferhitzer-Technik dieses Pop-Phänomens natürlich nicht.
Capital Bra kann man nicht ignorieren
Trotzdem interessiert mich Capital Bra. Nicht weil ich das Gefühl erleben will, welches Millionen von Kindern, Teenagern und jungen Erwachsenen durch die Musik von Capital Bra erleben. Ich möchte aber gerne wissen, wieso ihnen diese Musik und dieser Künstler dermassen viel bedeutet. Und wieso möchte ich das? Weil Popstars wie Capital Bra einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf unsere Gesellschaft haben.
Es ist der gesellschaftliche Aspekt, der mich Sätze sagen lässt wie: «Capital Bra ist relevant. Verteufelt ihn nicht. Befasst euch damit. Der hat etwas und es sollte uns interessieren, was es ist».
Der begehrte Schokoriegel
Schliesslich ist Capital Bra momentan einer der meistkonsumierten Schokoriegel der kommerziellen Pop-Welt. Ed Sheeran ist das auch. Doch da stellen sich weniger Fragen. Sheeran ist harmlos. In jeglicher Hinsicht. Ausserdem hat er Humor, Selbstironie und kein Problem damit, wenn sich jemand mit ihm und seiner Kunst kritisch auseinandersetzt. Der Typ besitzt nicht einmal ein Handy und weiss, dass der Kern seines Schaffens auf organischen Werten beruht.
Capital Bras Karriere ist auf einem ganz anderen Fundament aufgebaut. Eine aus meiner Sicht eher unsichere Grundlage. Bestehend aus Social-Media-Penetration, Provokation und dem Trittbrett des Zeitgeistes. Aber das ist nur meine, ganz sicher eingeschränkte, Sicht des Phänomens Capital Bra.
Was bleibt sind die Fragen
Das ist mein dritter Blog zum Thema Capital Bra. Er ist entstanden, weil ich es verheerend finde, was sich nach meinen ersten beiden Texten in den Kommentarspalten abgespielt hat. Das Schwarz-Weiss-Denken, welches dieser Name auslöst, stimmt mich nachdenklich.
Wieso kann man über Capital Bra nicht schreiben, ohne ziemlich übel angegriffen zu werden – oder ohne, dass Capital Bra pauschal verurteilt wird? Wo sind bei dieser Debatte die Zwischentöne? Wo sind die Fans, die sich kritisch mit dem Werk dieses Künstlers auseinandersetzen? Wo sind die Kritiker, die akzeptieren, dass dieser Künstler relevanter ist, als sie es gerne hätten?
Wenn ein 20-Jähriger schreibt, es sei ihm egal, was ich denke, dann ist das für mich völlig in Ordnung. Wenn aber ältere Semester schreiben, dass die heutige Jugend einfach vertrottelt sei, bringt mich das einigermassen in Rage. Schliesslich war, ist und bleibt Jugendkultur immer eine Reaktion auf die Welt, die vorangegangene Generationen aufgebaut und kultiviert haben.
Und deshalb sollte es uns brennend interessieren, wieso und wie eine ganze Reihe apolitisch scheinende Figuren eine nächste Generation partiell sozialisieren.