90‘000 Metalfans reisten diesen Sommer in die deutsche Provinz, ans weltgrösste Heavy Metal-Festival in Wacken. Nach wenigen Minuten waren die Tickets für die nächste Ausgabe 2017 bereits wieder weg.
Die Wacken-Veranstalter nennen ihr Publikum unterdessen «Kunden». Schauderhaft finden das zahlreiche Old-School-Metaller. Für viele ist Wacken zur Metal-Fasnacht verkommen und ein Sinnbild für den grossen Ausverkauf, der gerade läuft. Man braucht nur den neuesten TUI-Reisekatalog durchzublättern: Metal-Kreuzfahrt, eine Woche Mittelmeer, Bier, Currywurst und Bands inbegriffen: 1‘199 Euro.
Metal ist Mainstream
Als Spotify vermeldete, dass die Metalgemeinde weltweit das loyalste Streaming-Publikum ist, war ich keineswegs überrascht. Schliesslich kenne ich den Metal-Fan aus eigener Erfahrung. Jeden Mittwochabend um 20 Uhr präsentiere ich den Rock Special auf SRF 3. Würde ich nur auf die Quote zielen, könnte ich Woche für Woche zwei Stunden lang alte Iron Maiden-Hymnen, Led Zeppelin-Klassiker und AC/DC-Stampfer abfeuern.
Metal kracht schon seit einiger Zeit mit erstaunlicher Nachhaltigkeit in den bürgerlichen Mainstream. Die finnischen Metal-Trolls Lordi gewannen vor zehn Jahren den Eurovision-Song-Contest. Die Schweizer Pagan-Metaller Eluveitie beschallen «Das Zelt», zwischen Christa Rigozzi und Divertimento – präsentiert von Postfinance.
Metal ist Flucht
Wie konnte es passieren, dass dieser einst belächelte Verlierersound dermassen beliebt wurde? Es gibt verschiedene Gründe:
- Heavy Metal mit seiner Faszination für Mythologie und Mystik nahm schon lange vor Erfolgsserien wie «Game of Thrones» den Fantasy-Boom zum zentralen ästhetischen und inhaltlichen Element.
- Das Metal-Konzert ist die ideale Fluchtmöglichkeit aus dem ermüdenden Alltag der Generation Zuviel: Der IT-Angestellte, der sich im schwarzen Fantasy-T-Shirt zwei Stunden in eine Zeit jenseits der Moderne bangt.
- Es scheint dem Heavy Metal besser als anderen Musik-Genres zu gelingen, den westlichen Zeitgeist zwischen Neo-Konservatismus, ewiger Jugend und Rebellion light zu befeuern. Der Kunstdozent Jörg Scheller bringt dies in seiner lesenswerten Analyse über Metal im Kunstbetrieb (Süddeutsche Zeitung, 1.8.2012) treffend auf den Punkt: «Wer aufmüpfig sein, aber trotzdem pünktlich zur Arbeit kommen möchte, hat hier seine Totem-Musik gefunden.» Heavy Metal als Leitkultur derer, die anders sein möchten, ohne gleich anders sein zu müssen.
Metal ist unpolitisch
Der unpolitische und darum mehrheitsfähige Charakter des Heavy Metal ist ein weiterer wichtiger Grund für dessen Popularität. Im Metal, so scheint es, trifft linke, anarchistische Gesinnung auf rechtsbürgerliche Werte. Und niemanden störts. Metallica sind rechts. Black Sabbath (waren) links. Und zwischendurch verbreitet Wichtigtuer Chris von Rohr seine rechts-esoterischen Weltverschwörungstheorien.
Pustekuchen. Metal-Songs sind meist so unpolitisch wie wertkonservativ ; Iron Maiden singen von mittelalterlichen Schlachten, nicht vom Bürgerkrieg in Syrien. Metal ist mit keiner aktuellen Debatte und mit keiner revolutionären Agenda verbunden. Metal ist ehrenwertes Handwerker-Ethos. Hier wird noch richtig geschuftet. Das Gitarrensolo als filigrane Wertarbeit, Headbangen bis zur Nackenstarre und ein Schlagzeuger, der schwitzt wie ein Möbelpacker.
Metal ist (nicht) tot
Metal begann in den 70ern als Untergrundphänomen, entwickelte sich in den 80er und 90er Jahren mit immer extremeren Spielarten als Krachmusik zur letztmöglichen Rebellionsform in einer nivellierten Popwelt. Da er nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, könnte man ihn auch gleich beerdigen, fordern einige Kritiker.
Das aber wäre falsch: Es gibt unzählige junge, ambitionierte und talentierte Bands. Die beste Rockplatte des letzten Jahres kam von den amerikanischen Sludge-Metallern Baroness . Das krude, norwegische Ensemble Kvelertak kombiniert auf entfesselte Art Death Metal mit Hardrock-Elementen. Bands und Alben, die das demnächst erscheinende Metallica-Werk spielend in den Schatten stellen, gibt es genug.
Aber interessiert das wirklich jemanden? Ich hoffe weiter. Jeden Mittwochabend ab 20 Uhr – im Rock Special auf SRF 3.