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Musik-Blog Musik ist systemrelevant

Ich mag es nicht, das Wort «systemrelevant». Es fällt zurzeit ständig. Und wenn es fällt, wird es sofort an Zahlen und Geldbeträge geknüpft, die die Wichtigkeit einer Branche oder eines Berufs untermauern sollen. Die Systemrelevanz hat aber noch eine andere Ebene, und da kommt die Musik ins Spiel.

Was ist Musik wert? Was verdienen Musikerinnen und Musiker? Was hätten sie verdient? Was haben sie vor der Corona-Krise verdient? Was verdienen sie jetzt? Was benötigen sie in der jetzigen Situation? Was ist fair? Was wäre angemessen? Sprechen wir über Geld?

Das sind wichtige Fragen. Fragen, die nach Antworten schreien. Sie werden unbeantwortet bleiben. Wieso? Weil Musikschaffende etwas herstellen, das im besten Fall von unschätzbarem Wert ist: MUSIK!

Gregi Sigrist

Gregi Sigrist

Musikjournalist für Pop/Rock von Schweizer Radio und Fernsehen

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Im Musik-Blog schaut er auf, unter und hinter aktuelle Musikthemen und ihre Nebengeräusche.

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Musik ist so wertvoll, dass man sie nicht kaufen kann. Wie die Liebe. Es gibt zwar Branchen, die mit der Vermarktung von Liebe und Musik sehr viel Geld verdient haben – aber die Magie passierte stets abseits des Geschäfts. Was Liebe und Musik bewirken kann, konnte nie an einen Preis gebunden werden. Gut so. Auch wenn wir gerade daran sind, unsere Wirtschaft wieder hochzufahren. Ein Wirtschaftssystem, das ausschliesslich auf Wachstum setzt und grundsätzlich noch nie wirklich Sinn machte.

Ohne Musik geht gar nichts

Unser System besteht aus Menschen. Nicht aus der Wirtschaft. Wäre dem anders, hätte die Welt die Menschheit und nicht die Wirtschaft parkiert, als Covid-19 unseren Lebensraum betrat. Wenn neue Menschen geboren werden, füttern wir sie. Wir geben ihnen Liebe und wir singen ihnen Lieder vor. Nahrung, Liebe und Musik. Darum geht es im Leben. Um Nahrung, Liebe und Musik.

Wir müssen umdenken

Ich bin ein Pessimist. Ich habe keine Sekunde daran geglaubt, dass diese Krise eine nachhaltige Wirkung auf unsere Wertvorstellungen hat. Trotzdem ist diese Zeit der beste Moment, um sich wenigsten theoretisch über festgefahrene Wirtschaftsmuster Gedanken zu machen.

Im Moment probieren wir anhand von Zahlen und Geldbeträgen zu eruieren, was unser System braucht und was nicht. Dabei wird klar, dass der Wert der Arbeit von Kulturschaffenden nicht schlüssig eingeschätzt werden kann.

Musikerinnen und Musiker haben ein Problem

Musik ist dermassen wichtig, dass sie auch dann entsteht, wenn alles stillsteht. Musikschaffende üben nicht einfach einen Beruf aus. Sie haben eine Berufung und bestreiten damit ihren Lebensunterhalt. Das macht ihre Arbeit extrem wertvoll und zwingt sie gleichzeitig oft dazu, ihre Dienste unter Wert anzubieten.

Daran lässt sich wenig ändern, solange wir an unser bestehendes Wirtschaftssystem glauben. Was wir ändern können, ist der Umgang mit dieser Situation. Wir könnten uns zum Beispiel bewusster werden, dass Musik ein Teil des Treibstoffes ist, den unsere Gesellschaft braucht, um die Rädchen in Bewegung zu halten.

Das ist Musik ist meinen Ohren

Ich kann gar nicht anders als ohne wenn und aber zu betonen, dass Musik systemrelevant ist. Wäre sie das nicht, könnte ich mir auch eine funktionierende Gesellschaft oder gar eine Beziehung ohne Umarmungen, ohne offene Ohren, ohne Empathie vorstellen. Aber das kann ich beim besten Willen nicht. Essen und trinken ist nicht alles. Das wird uns immer spätestens dann bewusst, wenn wir trotz Hunger nichts essen mögen.

Mit Applaus kann man keine Mieten bezahlen

Künstlerinnen und Künstler sind aussergewöhnliche Menschen. Die meisten müssen, um von ihrer Kunst leben zu können, Lebenskünstler sein. Aber auch Lebenskünstler haben Fixkosten. Auch Lebenskünstler haben Familien zu ernähren, Steuern zu bezahlen, kriegen Rechnungen vom System, welches von ihrer Arbeit profitiert.

Es ist wie mit der Luft, die wir zum Atmen brauchen. Solange sie reichlich vorhanden ist, hat sie keinen klaren monetären Wert. Uns ist aber bewusst, dass es ohne Luft zum Atmen nicht geht. Wir sollten sie wertschätzen und pflegen, bevor sie knapp wird. So ist das auch mit der Musik.

Was wir nicht tun sollten: Die Musik für selbstverständlich nehmen. Denn das ist sie nicht. Hinter Tönen und dem, was sie bei uns auslösen können, stecken Menschen. Dahinter steckt die Arbeit der Musikerinnen und Musiker. Es ist Arbeit, die nichts mit Stundenlöhnen und Präsenzzeiten zu tun hat. Arbeit, die man nur schwer an Zahlen und Geldbeträge knüpfen kann.

Wird die Musik zum Hobby?

Eine Welt ohne ein Musikbusiness, so wie wir es heute kennen, ist relativ einfach vorstellbar. Unvorstellbar hingegen ist eine Welt ohne Musik. Eine Welt ohne Musikschaffende. Für diese braucht es, meiner Meinung nach, künftig bessere Arbeitsbedingungen. So, dass sie eine Buchhaltung führen können, welche eher einem Geschäft und weniger einer Überlebensstrategie gleicht. Dies hätte zur Folge, dass der Berufsstand der Musikschaffenden in einer Krise, wie wir sie im Moment erleben, ganz anders dastehen würde.

Unser System muss es ermöglichen, dass Berufungen Berufe bleiben.

Ich möchte dazu ein Zitat eines Musikers anfügen, der an der Entstehung oder der Verbreitung von einigen Melodien massgeblich beteiligt war, die uns viel bedeuten. Einer, der auch viele andere wertvolle Songs schrieb, die einfach andere Wege gegangen sind. Einer, der, egal ob er vor 25'000 Leuten auf dem Gurten oder auf einer kleinen Bühne in einer Bar, das macht, woran er glaubt. Ein unbestechlicher Musiker.

Jeder Künstler sehnt sich danach, mit seiner Berufung seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Es geht um den richtigen Platz in der Gesellschaft. Darum, dass einen die Leute da haben wollen, wo man selber sein will.
Autor: Disu Gmünder Patent Ochsner / Colibri

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