Seit einiger Zeit sieht man sie wieder. Die Jeans mit den Löchern. Aktuell kunstvoll an den Knien zerfetzt, getragen von modebewussten jungen Mädchen (und Jungs) in den Innenstädten. Nur ein Beispiel, wie sich Punk in unser Alltagsbild eingenistet hat. Unterdessen gerne auch kombiniert mit Luxusaccessoires und auch nicht mehr wirklich zum schocken, sondern eher zum locken.
Ihren Ursprung hat die zerrissene Jeans genauso im Punk wie der nicht totzukriegende Irokesen-Haarschnitt auf dem Fussballplatz. Mit derlei Accessoires geben sich grossstädtische Wohlstandskinder den Anstrich von Authentizität und hochbezahlte Fussballer eine Aura des Wilden, auch wenn sie letztlich «Pussies» (O-Ton Büne Huber) sind.
Bespuckt und zusammengeschlagen
Ganz anders die Punks im London des Jahres 1976. Diese wurden wegen ihres Äusseren von wildfremden Leuten attackiert und bespuckt. Die Aggression, die der Punk ausstrahlte, kam von der bürgerlichen Gesellschaft postwendend zurück.
Sex Pistols-Sänger John Lydon wurde regelmässig zusammengeschlagen und wenn einer heute sagen darf, was er kürzlich an einer Pressekonferenz sagte, dann er: «Wir waren Punks, alle anderen waren allerhöchstens Punkrock.»
Johnny Cashs Mittelfinger
Heute sind alle von Authentizität besessen. Wer wirklich echt ist im «Realness»-Wettbewerb, tut nicht das, was alle von ihm verlangen. So wie die Sex Pistols damals, die den Mut hatten, zu tun, was sie taten. Zum Thronjubiläum der Queen mit einem gecharterten Boot die Themse herunter zu schippern und dabei den Song «God save the Queen» ins verdutzte Publikum zu schmettern. So zu handeln ist attraktiv.
Johnny Cash, der uns auf seinem berühmtesten Foto (siehe oben) den Mittelfinger entgegenstreckt, Lemmy Kilmister, der zeitlebens auf sämtliche Konventionen pfiff. Solche Figuren sind rar geworden in einer Zeit, in der jeder versucht, etwas darzustellen. Auf Facebook und Instagram präsentieren wir uns in geschönten Versionent. Kaum jemand leistet sich den Luxus, so zu sein, wie er ist und zu tun, was er will.
Von Pussy Riot bis Böhmermann
Dabei funktioniert die geniale Strategie von Punk, diese Kombination aus Wut, Provokation und Ironie auch heute noch bestens. Wenn Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten eine Staatskrise auslöst, schmunzelt der Punk in uns.
Dass er dafür den Grimme-Preis erhält, erinnert an die Geschichte der Sex Pistols, die vom Radio verbannt wurden – mit «God save the Queen» aber die Charts trotzdem im Sturm eroberten. Dass die Sex Pistols am meisten Singles verkauften, aber nur auf Platz 2 der Hitparade gesetzt wurden, um die Queen im Jubiläumsjahr nicht in Verlegenheit zu bringen, ist schliesslich der Ritterschlag in Sachen Coolness. Zensur wirkt selten so, wie die Zensoren sich das vorstellen. Da wird ein Verbot schnell zur Auszeichnung.
Das galt auch bei der hippsten Punk-Revolte der letzten Jahre. Als die russische Band Pussy Riot 2012 unter grossem medialen Getöse verhaftet wurde, sagte die Sängerin Nadeschda nach wenigen Tagen aus dem Gefängnis: «Wie auch immer das Urteil ausfällt, wir haben schon gewonnen.»