Oran. Da wollte ich schon immer hin. Oran. Die Hauptstadt des Raï (wichtigste algerische Volks- und Popmusik). Die Stadt von Rachid Taha. 2011 habe ich es geschafft. Der Aufwand, ein algerisches Visum in meinen Pass zu kriegen, welches mich dazu ermächtigte als Individualtourist Algerien zu bereisen, war riesig. Aber es hat sich gelohnt.
Da stand ich nun. In Oran, der Wiege des Raï. In der Stadt, in welcher Rachid Taha geboren wurde. Erschreckend schnell war mir klar, wieso Tahas Familie diese Stadt verlassen musste. Genauso klar wurde mir, wieso unzählige Algerier, die ins Exil gingen, ihre Heimat so sehr vermissen.
Oran ist keine Stadt für Menschen mit grossen Ohren. Algerien ist kein Land für Künstler, die ihre Fühler ausstrecken wollen. Der autoritäre Staat bietet aber selbstverständlich den perfekten Nährboden für starke, neugierige und kompromisslose Charakterköpfe. Genau so einer war Rachid Taha.
Der Punk im Anzug
In gewisser Weise war Taha ein Punk. Ein Punk des arabischen Kulturraums. Anstand und Respekt waren für ihn aber genauso wichtige Werte wie Protest und Reibung. Kein Wunder also, fand Taha seinen Berührungspunkt mit westlichem Punk in der britischen Band The Clash. Bei einer Truppe, die nicht sich, sondern ihre Umwelt ins Zentrum setzte und dabei weder musikalische noch kulturelle Scheuklappen trug.
Der Crossover-Pionier
Wenn man sich vor Augen führt, wie gross Rachid Tahas musikalische Neugier war, wird schnell klar, dass sein dringliches und lustvolles „unter dem Hag durchfressen“ mehr war als ein Flirt mit anderen Welten. Er brachte nie gehörte Fusionen in die arabische Pop-Kultur und begeisterte damit zeitgleich die westliche Welt. Einer, dem dies nicht entgangen ist, ist der britische Regisseur Ridley Scott, der den Song «Barra Barra» prominent in seinen Film «Black Hawk Down» einbaute.
Bob Dylan, Johnny Cash und Joe Strummer
Von Joe Strummer (The Clash) hatte Rachid Taha seinen intellektuellen Ansatz seines Punk-Verständnisses. Vom Country-Helden Johnny Cash seine Rock’n’Roll-Attitüde. Und von Bob Dylan den philosophischen Ansatz mit Musik und Tradition.
Taha war für die Bewahrung und Weiterentwicklung des maghrebinischen Sounds so wichtig wie Bob Dylan für die Pflege und Entfaltung des amerikanischen Liedguts.
Taha machte der westlichen Welt die Musik Nordafrikas zugänglicher. Gleichzeitig reizte er die Interpretationsmöglichkeiten französischer Chansons aus und sorgte mit seiner Version des Charles Trenent-Songs «Douce France» für Aufsehen.
Rachid Taha starb am 12. September 2018, kurz vor seinem 60. Geburtstag, in Paris an einem Herzinfarkt. Er prägte die zeitgenössische, maghrebinische Musik und bereicherte das allgemeine Verständnis der sogenannten World Music. Taha hinterlässt eine kaum zu füllende Lücke in der arabischen Crossover-Szene.
Danke für die Musik, für die du gelebt hast, Rachid Taha.
In der zweiten Stunde des World Music Special vom 13. September, würdigen wir sein Werk und beleuchten einen Teil seiner unglaublichen Vielseitigkeit.