Es ist eine spannende und schwierige Frage: Wo sind die 68er in der heutigen Popmusik? Stellen wir eine andere Frage: Was will Popmusik heute sein? Was will sie aussagen? Auf den ersten Blick nicht viel. Auf den ersten.
Die späten 60er waren der Startsschuss für musikalische Revolutionen
1968 hallte der «Summer of Love» noch nach, die Hippie-Bewegung aber hatte ihren Höhepunkt erreicht. Bands wie Led Zeppelin und Black Sabbath hatten begonnen, aus klassischem Blues- und Psychedelic-Rock erste Varianten des Heavy Metal zu formen.
Punkrock schielte bereits um die Ecke (zwar noch in Form von schludrig schnellem Garage-Rock wie jener der Stooges ) und sollte Mitte der 70er dann seine grosse Stunde feiern. Und mit den Beatles begab sich die grösste Band der Gegenwart in experimentelle und zunehmend auch politisch kritischere Gefilde.
Musikalische Rekonstruktion eines Zeitgeists
Ein unbändiger Wille, Grenzen zu sprengen und Musik und Sound neu zu definieren: das waren Merkmale der Musik in den 60ern. Wenn wir heute aber Bands hören, welche sich von dieser Zeit und Musik inspirieren lassen, dann sind das meist gut gemachte Kopien. Das kann zwar wie bei der englischen Band Temples grossartig klingen, ist letzten Endes jedoch bloss die musikalische Rekonstruktion eines Zeitgeistes, welcher so nicht mehr existiert.
Popmusik hat seinen Revolutionscharakter verloren
Wenn ich von Popmusik rede, dann meine ich immer das gesamte Spektrum populärer Mainstream-Musik. Die Musik von Bands wie den Beatles , den Sex Pistols oder auch der frühen U2 war nicht nur von grossen Refrains geprägt, sondern auch von Inhalt, Message und Zeitgeist-Kritik.
Revolutionistisches Gedankengut sucht man in der heutigen Popmusik aber so vergebens, wie man Timbre sucht. Alles ist aufgeblasen, laut und inhaltslos. Es fehlt eine Message , es fehlt ein Sound einer Generation wie ihn sämtliche Jahrzente bis zu den 90ern hatten. Manche schieben dies auf die unglaubliche Vielfalt der heutigen Musik – oder den Umstand, dass sich der Zugang zu Musik heute schlicht viel einfacher und breiter gestaltet.
Trap als letzte Bastion der revolutionären Popmusik?
Vielleicht sehen wir das aktuell aber auch einfach ganz falsch? Und hier wird es überraschend – und vielleicht auch ein wenig polemisch. Denn ich finde, es gibt tatsächlich ein Genre, welches den Zeitgeist einer jungen Genration einfängt und sich ein wenig nach musikalischer Revolte anhört: Trap, eine düstere, elektronische Variante des Hip-Hop.
Ich gebe zu: Vieles an der Trap-Faszination verstehe ich nicht und muss ich als Ü30er wohl auch nicht mehr verstehen. Aber im Gegensatz zu Rock, Pop und dem unsäglichen Mainstream-Elektro der letzten Jahre hat es Trap geschafft, ein Genre neu zu definieren und ein Lebensgefühl einzufangen.
Denn: Trap hat den Hip-Hop grundlegend verändert. Insbesondere der Triplet-Flow, also das triolische Rappen der Texte, prägt seit 2014 die gesamte Rap-Kultur. Und Trap nutzt auch das Hi-Hat auf einzigartige Weise (hier ein kurzes Beispiel dafür) .
Man kann neue Strömungen auch immer daran messen, wie sehr sie im ganz grossen Mainstream angekommen sind. Superstars wie Katy Perry oder Justin Bieber nutzen Trap-Beats. Die Power-Poprocker 30 Seconds To Mars liessen sich auf ihrem aktuell erschienen Album davon inspirieren. Viele elektronische Popsongs sind zudem vereinfachte Versionen von Trap-Songs.
Und wenn mir befreundete Konzertveranstalter berichten, dass Trap-Parties und Konzerte am Laufmeter ausverkauft und überfüllt seien wie sonst nichts vergleichbares, dann lässt sich doch sagen: Trap ist der Sound der heutigen Jugend , der heutigen Popkultur – und in ihrem Sinne auch eine musikalische Revolte, wenn auch eine kleine.