Macht man eine Liste mit Schweizer Mundart-Sängerinnen, startet man wahrscheinlich mit Namen wie Sina, Natacha, Sandee oder Vera Kaa. Weitet man das Genre aus, landet man bei Big Zis, Steff La Cheffe oder vielleicht sogar 11ä. Danach kommen womöglich Namen wie Sophie Hunger, die ja auch regelmässig Mundart singt. Mia Aegerter? Ja. Da war mal was. Kisha? Ja, die hat bei Reto Burrells Projekt-Band C.H. Mundart gesungen.
Wer noch?
Fabienne Louves? Klar. Da war einiges. Vor allem aber «Hemmigslos liebe». Salome Clausen? Stimmt. Die Gewinnerin der zweiten «MusicStar»-Staffel hüpfte 2005 mit «Gumpu» auf Platz eins der Schweizer Hitparade. Ach. Und Steiner & Madlaina haben mit «Herz vorus id Wand» auch einen Mundartsong im Repertoire.
War’s das?
Nein. Das war es noch nicht. Vor ein paar Jahren dachte ich, dass die Chamerin Simone Baumann mit ihrem Projekt «Moni und die Luftpost» den Grundstein für eine vielversprechende Mundart-Karriere legen würde. Leider ging die Post dann aber nicht wirklich ab. Einen tollen Flirt mit der Mundart wagte auch die Berner Band Colibri. Dem Nebenprojekt von Patent Ochsner-Gitarrist Disu Gmünder und seiner Partnerin Nicole Wiederkehr steht die Mundart ausgezeichnet. Wahrgenommen wurde das ausserhalb von Bern aber leider kaum. Und gerade in den Startlöchern ist die Bündnerin Fiona Cavegn mit rätoromanischen Songs.
Das alles ist wenig. Zu wenig, um davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren eine Handvoll Frauen im Mundartbereich Hecht, Lo & Leduc oder Nemo ernsthaft Konkurrenz machen könnten.
Fehlt der Mut?
Wer in seiner Muttersprache vor heimischem Publikum singt, ist nackt. Das wissen alle, die diesen Schritt gewagt haben. Ganz egal, ob sie dabei abgestürzt oder durchgestartet sind. Abgesehen von der Schlagerabteilung singen Mundartstimmen direkt und schutzlos an die Herzen ihrer Zuhörer heran. Prallen ihre Texte an diesem Organ ab, kann es schmerzhaft werden.
Sitzt die Angst vor der möglichen Ablehnung in Schweizer Künstlerinnen zurzeit noch tiefer als bei ihren männlichen Kollegen? Irgendwie kann ich mir das fast nicht vorstellen. Erklären, wieso kaum jemand probiert, diese attraktive und grosse Marktlücke zu füllen, allerdings auch nicht. Es kann aber einfach nicht sein, dass man bei einer Suche nach aktuellen Schweizer Mundart-Frauenstimmen dermassen schnell bei Reissbrett-Mundartproduktionen wie «Härz» landet.
Fehlen die Vorbilder?
Abgesehen von Sina, Dodo Hug, Steff La Cheffe oder Sophie Hunger gibt es im kommerziellen Mundart-Pop-Bereich kaum Frauen, die neuen Talenten als Leuchttürme dienen können. Dies kann als Problem oder als unglaublich grosse Chance angesehen werden. Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass die Schweiz auf solche Frauen wartet. Ebenso sicher bin ich mir, dass es diese Frauen gibt. Sie müssen aber von ihrem Material so überzeugt sein, dass sie bereit sind, damit zu scheitern.
Solche Künstlerinnen könnten mit Sina Kaffee trinken und über den steinigen Weg zum Erfolg und den erlösenden Pfad zu sich selbst reden. Sie könnten mit Steff La Cheffe abhängen und über gesunden Ehrgeiz und den Umgang mit Selbstzweifeln sprechen. Sie könnten sich mit Kabarettistin Hazel Brugger darüber unterhalten, wie man als Frau eine Bühne einnimmt – und ob man sich bei diesem Gespräch überhaupt über das Thema «Frau sein» austauschen muss.
Wie auch immer. Ich freue mich jedenfalls sehr auf den Moment, wenn die erste Schweizer Mundart-Sängerin das Hallenstadion füllt. Nicht mit einer cleveren Marketingstrategie. Nein. Mit ihren Songs. Mit der Kraft ihrer Songs und der damit verbundenen Präsenz, die diese Künstlerin ausmacht.