Zum Inhalt springen

Neue Musik der Berner Kultband Züri West: Das Album, das zuhause bleibt

Die Fahnen sind auf halbmast: Aufgrund von Kuno Laueners Gesundheitszustand wird Züri West nie mehr live auftreten. Die Band veröffentlicht das traurigste Album ihrer Geschichte. Und ich finde anfangs nicht wirklich Zugang zu den 13 neuen Songs von «Loch dür Zyt».

Stilvoll, warm und etwas beiläufig. Das war mein Eindruck des 14. Studio-Albums «Loch dür Zyt» der Berner, als ich es zum ersten Mal hörte. Irritiert wiederholte ich den Vorgang, mich durch das 35 Minuten kurze und sechs lange Jahre ersehnte neue Album von Züri West zu hören.

Dabei fragte ich mich, ob die Pointe des sauber erzählten Bubenstreichs im Song «Schnägg» 2023 ein Publikum fände. Ob das Cover des kaum bekannten Frostschutz-Songs «Im Bett» eine adäquate Wahl sei. Ob die bandinterne Geschichte von «Schnee vo Philadelphia» nebst der verbitterten Abrechnung auch eine Hand für ein Gespräch ausstrecken will, es aber nicht schafft.

Gregi Sigrist

Musikjournalist für Pop/Rock von Schweizer Radio und Fernsehen

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Im Musik-Blog schaut er auf, unter und hinter aktuelle Musikthemen und ihre Nebengeräusche.

Zu seinen Musik-Blogs

Während das letzte Album «Love» ein Werk zum Umarmen war, erschien mir «Loch dür Zyt» als gut produzierte Ideensammlung. Ich fand den Weg zu den Figuren nicht. Die Songs wollten nicht zu Freunden werden. Bis ich meinen Denkfehler entdeckte.

«Loch dür Zyt» ist kein Album, wie ich es von Züri West kenne. Es ist nicht das Album, das mit mir in die Ferien fährt. Nicht das Album, das aus- und aufbricht. Mich an neue Orte bringt.  Es ist das Album, das zuhause bleibt. Daheim. Da liegen Sachen herum. Erinnerungen. Probleme. Geschichten. Eigentlich möchte ich nicht dahin, wenn es nicht mein Daheim ist. Aber ich kann ja mal anklopfen. Rein- oder vorbeischauen.

Nochmals auf Repeat

Ok. Neues Mindset. Ich höre «Loch dür Zyt». Das Album, das zuhause bleibt. Und langsam kommen sie bei mir an, die Perlen dieser Produktion. Ich staune, wie Lauener mit dem Satz «Haub Europa i de Finke» im Song «Schöne Morge im April» die Wohlstands-Emotion der Corona-Krise in fünf Worte packt. Ich bin berührt ob der Ansage ans Leben in «Winterhale». Schmunzle über die fiktionale Dreierkiste in «Hü». Bin fasziniert von «D’Idee» und wie bei Züri West sogar ein beschriebener Zettel zur Figur werden kann.

Das Album, das sich nicht weit aus den vier Wänden wagt, hat einen besonderen Reiz. Die Szenerie von «Blätter gheie» lässt sich vom Wohnzimmerfenster aus beobachten. Die Spritzfahrt in «Mercury Blues» bleibt im sicheren Quartier. Und schnell ist man wieder zurück am Küchentisch, an welchem in «Badalamenti am Klavier» sogar David Lynch kurz Platz nimmt. Oder an der Bushaltestelle, an welcher in der Lou Reed-Adaption «Vanishing Act» der Komponist des Originals sitzt.

Und da ist auch Musik

Ich habe mich anfangs so sehr auf die Geschichten gestürzt, dass ich der Musik zu wenig Platz gab. Obwohl bekannt ist, dass bei Züri West die Musik nicht zu den Texten entsteht, sondern Lauener musikalische Ideen auswählt, auf welche seine Texte passen, steht die Musik perfekt im Dienst des Textes und damit des Songs. Wie bei guter Filmmusik, die man oft gar nicht so aktiv wahrnimmt, wie sie es unbedingt verdient hätte. Aber auch hier: Je öfter man sich das Album anhört, desto mehr strahlt die Musik.

Aufgeräumt ist «Loch dür Zyt». Alles sorgfältig und mit Liebe da platziert, wo es hingehört. Kein Ton zu viel. Kein Ballast. Nichts, was mich von der Geschichte ablenken könnte, die mir gerade erzählt wird. Züri West eben.

Das Album ist inzwischen bei mir angekommen. Oder ich beim Album? Ja, es dauerte einen Moment, bis bei mir die Sonne aufging. Falls das anderen auch so geht: bleibt noch ein bisschen. Irgendwann wird’s hell am Horizont.

SRF 3, 7.12.2023, 06:55 Uhr

Meistgelesene Artikel