Die Welt scheint aus den Fugen, und die Götter schicken Blitz und Donner: Das neue Album der Young Gods kracht von der ersten Sekunde an gewaltig. Das Freiburger Trio um Franz Treichler vermag einmal mehr zu packen, aufzurütteln und anzustecken - und liefert einen Kompass dafür, wie man sich in der ultrakomplexen, digitalen Welt bewegen kann, ohne unterzugehen.
SRF: Franz, ihr liefert einen heftigen Soundtrack zur heutigen Welt, die auseinanderzufallen droht. Sind wir in der Dystopie angekommen?
Franz Treichler: Für mich ist das Album keinesfalls düster. Im Gegenteil: Im Kern strahlt ein grosses Licht, das den Leuten Energie geben soll. Das Album soll Mut machen, nicht zu kapitulieren und kreativ zu bleiben, um Wege des Widerstands zu finden. Es strahlt hell - und mit voller Wucht.
Das Album strahlt auch eine innere Unruhe aus, ähnlich wie ich sie empfinde, wenn ich aktuell durch die News scrolle. Habt ihr den perfekten Sound für diese Zeit?
Wir leben in einem sehr intensiven Moment, in dem viele der bisherigen Orientierungspunkte verschwinden. Aber der Spirit des Rock'n'Roll war schon immer revolutionär und antikonservativ. Es gab ja ständig Probleme: Jimi Hendrix mit «The Star Spangled Banner» ist ein Beispiel. Die Zeit um Woodstock und der Vietnam-Krieg. Und so weiter. Wir sehen uns als Teil dieser Tradition. Aktuell sind wir in einer total absurden Situation gelandet. Alles hängt so komplex zusammen, dass es kaum mehr möglich ist, den Alltag zu bewältigen, ohne in irgendeiner Form die Missstände auf dieser Welt mit zu verschulden. Es ist total wirr.
Solange eine einzige Person aufsteht und 'nein' sagt, ist noch nichts verloren.
Das Mantra «Appear Disappear» scheint mir wie eine Anleitung, wie man mit dieser Überforderung umgehen kann.
Manchmal ist man müde, kann nicht mehr und würde am liebsten verschwinden. Man findet keinen Zugang zu dieser Welt. I disappear. Wenn du dich aber nur noch zurückziehst und zuschaust, hilfst Du indirekt alldem, was dich wahnsinnig macht. Also muss man auftauchen, «nein» sagen und sich einbringen. I appear. Nimm Social Media und künstliche Intelligenz: Willst du es boykottieren, damit sie dich und deine Daten nicht ausbeuten? Dann überlässt du den Raum allen anderen und deren Ideen.
Dieses Jahr werden The Young Gods vierzig Jahre alt. Wie fühlt sich das an?
C'est une éxperience incroyable! Durch diese Band und das Touren bin ich sozialisiert worden. Dass es uns gelingt, diese Energie aufrecht zu erhalten, ist unglaublich. Wir sind uns nicht bei allem einig - wir können endlos über Politik diskutieren - aber wir haben ein grosses gemeinsame Ziel: Etwas Positives zu kreieren. Musik ist magisch, es bringt die Leute zusammen und trifft direkt ins Herz. Wir haben riesiges Glück, Musik machen zu dürfen. Also nehmen wir die Herausforderung an und versuchen unser Bestes zu geben. Auch wenn manchmal alles zu viel werden kann. Auch für mich persönlich. Dann ziehe ich mich zurück. I disappear. Bis es mich wieder packt - and I appear! [lacht]
Aufhören ist keine Option. Du hast dafür ein Wort erfunden: «Antikapitulist».
Das fasst vieles zusammen, das in diesem Album steckt. Lass Dich nicht klein machen. Gib nie auf. Man kann jeden Tag etwas Schönes und Positives machen. Das ist meine Art von Widerstand. Bei allem, was man nicht gut findet: Solange eine einzige Person aufsteht und «nein» sagt, ist noch nichts verloren.
Das Gespräch führte Andi Rohrer. Das vollständige Interview ist in der aktuellen Folge «Sounds!» zu hören (siehe zuoberst).