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Queer und Religiös Lil Nas X am Jesus-Kreuz

Der amerikanische Rapper Lil Nas X sorgt mit Jesusposen für rote Köpfe. Das ist aber nicht nur billige Provokation. Es ist auch ein Akt der Ermächtigung.

Es ist nicht neu, dass der Einsatz von religiösen Symbolen in der Popkultur für Aufruhr sorgt. In den 1980er-Jahren gab es Schimpfe aus dem Vatikan für Madonnas «Like a Prayer».

Christliche Organisationen liefen Sturm gegen den vermeintlichen Satanisten Marilyn Manson und im Black Metal gehört es schon fast zum guten Ton, sich Blasphemie-Vorwürfe aus der bürgerlichen Gesellschaft einzuheimsen.

Lil Nas X: himmlischer Pardiesvogel

So gesehen befindet sich der amerikanische Rapper Lil Nas X in guter Gesellschaft. Am 12. Januar erscheint seine neue Single «J Christ». Der Titel provoziert und noch viel mehr tut das ein Promobild, das Lil Nas X in den sozialen Medien geteilt hat.

Darauf stellt er die Kreuzigung Jesu nach. Am Kreuz hängt er selbst. Umgeben ist er dabei nicht etwa von römischen Soldaten, sondern von jungen People of Color (PoC).

Religiöse Gefühle können tief gehen und existenziell sein. Entsprechend heftig sind die Reaktionen von Menschen in der Kommentarspalte, die glauben, dass sich da einer lustig mache über ihren Gott.

Doch: Lil Nas X ist selbst ein gläubiger Christ. So hat er seine Single «J Christ» dem Mann gewidmet, der das grösste Comeback aller Zeiten gehabt habe. Eine Anspielung auf die Auferstehung Christi.

Das Bild habe nichts mit Spott oder Hohn zu tun, schreibt Lil Nas X. Jesusbilder seien im Laufe der Geschichte in der Kunst überall auf der Welt verwendet worden. Man solle aufhören, die Religion zu bewachen.

Befreiungstheologie

Es gibt in der Malerei tausende Bilder, welche die Kreuzigung Jesu zeigen. Normalerweise sind die abgebildeten Menschen weiss. Bei Little Nas X sind es PoC.

Darum könnte man dieses Bild auch als Akt der Befreiungstheologie lesen, sagt SRF Religionsredaktorin Dorothee Adrian. «Bei den Befreiungstheologien geht es nicht darum, sich vom Glauben abzuwenden, sondern genau ums Gegenteil: Sich die Religion ins eigene Boot zu holen.»

Gegen Ausgrenzung

Seit es Religion gibt, wurde sie auch dazu benutzt, Menschen auszugrenzen. Gerade in den USA haben evangelikale rechtspopulistische Strömungen immer wieder versucht, das Christentum mit bestimmten Normen zu prägen und für sich zu beanspruchen.

«Es ist auch unser Glaube»

Gegen diese Ausgrenzung wehren sich die Befreiungstheologien. Bei den Prides, den weltweiten Demonstrationsumzügen der Queer-Community, sind in den vergangenen Jahren vermehrt Menschen im Jesus-Look aufgetaucht. Die Botschaft ist klar: «Gott ist auf der Seite aller Menschen. Auch auf unserer.»

Inklusive Gleichstellungsarbeit

Er habe schon früh gewusst, dass er schwul sei, so Lil Nas X. Als Teenager habe er darum gebetet, dass dies nur eine Phase sei und wieder weggehe. Wenn er nun eine Kreuzigungsszene mit einem afroamerikanischen queeren Darsteller zeigt, eben sich selbst, dann vereint er das Christentum mit seiner Lebenswelt. In diesem Sinne liesse sich das Bild auch als inklusive Ermächtigungs- und Gleichstellungsarbeit verstehen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Lil Nas X Grenzen überschreitet, die andere gezogen haben. Als er 2019 mit Billy Ray Cyrus «Old Town Road» aufnimmt, wagt er sich im pinkfarbenen Cowboyhut an das wahrscheinlich konservativste aller Musikgenres heran: Country. Mit Erfolg. Der Song wurde zum Welthit. Ob ihm die Single «J Christ» Lorbeeren oder eine Dornenkrone einbringt, wird sich weisen.

Radio SRF3, 11.1.2024, 15:45 Uhr

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