Die Schwierigkeit beginnt bei der Definition, was Schlager genau ist. Die Beatles würde wahrscheinlich niemand als Schlagerband bezeichnen, doch wenn Howard Carpendale «Ob-La-Di, Ob-La-Da» auf Deutsch singt, dann klingt das einwandfrei nach Schlager.
Allgemein wird Schlager so definiert, dass er sich durch einfache Song-Strukturen, eingängige Melodien und Texte auszeichnet, die von ernst bis sentimental reichen. Doch das trifft auch auf Songs von Ed Sheeran und Taylor Swift zu. Als weiteres Kriterium wird oft auf deutsche oder mundartliche Texte verwiesen. Ist Jule X also Schlager?
Die Österreicher haben’s erfunden
Der Begriff «Schlager» ist eine Ableitung von «Blitzschlag» und meint: Etwas schlägt ein und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Zum ersten Mal abgedruckt wurde der Begriff 1867 im Wiener Fremdenblatt, und zwar in einer Besprechung zur Aufführung des Donau-Walzers .
Seemänner und Fernweh
«Seemann, lass das träumen, denk nicht an Zuhaus», singt Lolita 1960 und landet damit einen Hit, der es selbst in den USA in die Charts schafft. Dass Seemannslieder und Fernwehsongs populär waren in den 1960er-Jahren, ist verständlich. Die Welt war damals noch nicht so einfach zu bereisen und die besungenen Häfen Rio, Schanghai, Bali und Hawaii klangen nach Abenteuer.
Menschliche Urthemen
«Aufbruch ist ein zentrales Motiv im Schlager», sagt der Soziologe, Journalist und Schlager-Experte Jan Feddersen. Ebenso menschliche Urthemen wie die Liebe, das Anbahnen, Zusammenleben und Trennen. «Ein guter Schlager erzählt in drei Minuten eine Geschichte», so Feddersen. Dabei sind Schlagersongs immer auch ein Spiegel der Gesellschaft und reflektieren den Zeitgeist.
Eskapismus – na und?
Ein gängiger Vorwurf an den Schlager lautet, dass eine idealisierte Welt besungen werde. Ja, Lolita singt über Schiffe und Sterne und nicht über Skorbut. Dem Schlager daraus einen Strick drehen zu wollen, wäre aber unfair. Denn Eskapismus ist das Kerngeschäft fast jeglicher Art von Unterhaltung. Man denke etwa an die Dämonenwelt, die im Metal so gerne zitiert wird.
20 Prozent lieben Schlager
Schlager ist beliebt. Das zeigen nicht nur ausverkaufte Partys, sondern auch eine Umfrage von Statista zu den Hörgewohnheiten der Deutschen: Rund 20 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung bezeichnet sich selbst als Schlagerfan.
Doch obwohl Roland Kaiser, die Amigos und Helene Fischer regelmässig in der Hitparade anzutreffen sind, rümpfen viele die Nase über das Genre. Schuld sei bildungsbürgerlicher Dünkel, so Jan Feddersen. «Man will sich von der breiten Masse abgrenzen. Das Abwerten von Schlager ist eine Machtgeste.» Dabei sei Jazz doch genau gleich auch einfach Unterhaltungsmusik.
Schunkeln als Überlebensstrategie
Jede Person, die ab und an Aktivitäten mit anderen Menschen angeht, weiss: gemeinsam macht glücklich. Schliesslich hat Homo sapiens das Soziale als Überlebensstrategie gewählt. Schlager bietet niederschwelligen Zugang zu diesem Gemeinschaftsgefühl.
Die Songs sind auf Mitmachen angelegt: Ein Viervierteltakt in idealem Schunkel- oder Mitklatsch-Tempo, eingängige Akkordfolgen und jede Silbe auf einen Schlag, damit das mit dem Mitsingen klappt. Doch anstatt ihm zu seinem Sozialisationspotenzial zu gratulieren, wird dem Schlager seine vermeintliche Einfachheit zum Vorwurf gemacht. Zu Unrecht, findet Feddersen, denn: «Populäres ist schwer herzustellen.»