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Neuanfang mit 42
Aus Audio Aktuell SRF 3 vom 20.11.2023. Bild: plainpicture/Franke + Mans
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Raus aus der Midlife-Crisis Wenn die Krise zur Chance wird

Im mittleren Alter haben viele mit Zweifeln und Ängsten zu kämpfen. Man spricht von der Midlife-Crisis. Doch die Krise kann auch zur Chance werden.

Mit 42 Jahren ein beruflicher Neuanfang – dafür entschied sich Tabea Käser. Jedoch liessen die Reaktionen aus ihrem Umfeld nicht lange auf sich warten. «Ich wurde gefragt, ob ich jetzt das Gefühl hätte, mich neu erfinden zu müssen», sagt sie. Doch sie liess sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Vom Detailhandel wechselte sie in die Pflege.

Leute, die wie Tabea Käser ab 40 einen Neuanfang wagen, werden oft mit dem Klischee Midlife-Crisis konfrontiert. Aber gibt es die Midlife-Crisis überhaupt? Lange war sie in der Wissenschaft umstritten, sagt Pasqualina Perrig-Chiello, emeritierte Psychologieprofessorin der Universität Bern.

Heute weiss man: Tatsächlich ist die Lebensphase zwischen 40 und 55 Jahren besonders anfällig für Krisen. «Es ist die Zeit der meisten Burnouts, Depressionen und Scheidungen», sagt die Psychologin.

Was Betroffene aus der Bahn wirft

Die Lebensmitte ist geprägt von viel Belastung. «Leute über 40 haben hohe Erwartungen im Berufsleben», so Perrig-Chiello. Man habe wenig Zeit für sich selbst. Auch im Privatleben komme es zu einem Wandel. Die Kinder würden erwachsen werden und sich immer mehr ablösen, gleichzeitig würden die eigenen Eltern immer mehr Unterstützung benötigten.

Ab 40 wird einem bewusst, dass das Leben nicht ewig weiter geht.
Autor: Pasqualina Perrig-Chiello Emeritierte Psychologieprofessorin der Universität Bern

Dazu kommen körperliche Veränderungen. Frauen kämen langsam in die Wechseljahre und auch der Hormonhaushalt der Männer verändere sich. «Man ist nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt», so die Psychologin. Das belaste Betroffene zusätzlich.

Wieso die Midlife-Crisis Männer härter trifft

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Mit der Midlife-Crisis werden meistens Männer in Verbindung gebracht. Aus Filmen und Serien kennt man das Klischee des Mittvierzigers, der plötzlich seine Frau verlässt und sich ein neues, teures Auto kauft. Komplett falsch sei diese Vorstellung nicht: «Eine Lebenskrise im mittleren Alter trifft Männer in der Regel häufiger als Frauen», sagt Pasqualina Perrig-Chiello.

Laut der Psychologin sind Männer im Vergleich zu Frauen weniger konfliktscheu, gleichzeitig sprechen sie Probleme weniger häufig an. «Männer provozieren häufiger einen Bruch», so Perrig-Chiello. Heisst: Sie tendieren eher dazu, abrupte Entscheidungen zu treffen als Frauen. Die einen würden von heute auf morgen ihren Job aufgeben, andere verliessen plötzlich ihre Familie.

Das hänge unter anderem damit zusammen, dass Männer und Frauen tendenziell unterschiedlich kommunizieren. Frauen hätten typischerweise mehrere Ansprechpersonen, mit denen sie über Probleme sprechen würden. Laut der Psychologin behalten Männer eher ihre Probleme für sich, und wenn, dann sprechen sie mit der Partnerin darüber: «Doch wenn das Problem die Partnerschaft betrifft, sind sie hilflos.»

Was Menschen in dieser krisenanfälligen Zeit besonders beschäftige, sei die Frage nach dem Sinn. Laut der Psychologin wird einem bewusst, dass das Leben nicht ewig weiter geht. Das Lebenszeitfenster werde kleiner. «Man stellt infrage, was man bisher erreicht hat und was man noch erreichen möchte», so Perrig-Chiello. Für viele Leute komme in dieser Zeit der Wunsch nach einer Veränderung auf.

Vom Detailhandel in die Pflege

So ging es auch Tabea Käser. Sie und ihr Mann führten zu dieser Zeit eine Bäckerei mit vier Filialen und sie arbeitete Vollzeit im Detailhandel. Doch ihr wurde klar, dass es Zeit war, für etwas Neues. Als ihre Tochter begann, sich mit dem Thema Berufswahl zu beschäftigten, und Interesse an der Pflege zeigte, wurde Tabea Käser klar: Das ist, was ich will.

Natürlich sei die Frage aufgekommen, ob sich ein beruflicher Neuanfang ab 40 Jahren überhaupt lohne. Sie kam zum Schluss: «Man ist nie zu alt, etwas Neues anzupacken.» Sie meldete sich für eine Standortbestimmung an, liess sich beraten und entschied sich, eine Ausbildung in der Pflege anzufangen.

Wieso die Krise eine Chance sein kann

Tabea Käsers Fall zeigt: Die Krise kann auch eine Chance sein. «Es muss nicht unbedingt zu einer Krise kommen. Die Lust auf Veränderung an sich ist nichts Negatives», sagt die Psychologin. Sie könne einem auch die Chance geben, sich neu zu orientieren und eine Möglichkeit zu finden, um aus der Routine auszubrechen.

Das rät die Expertin

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  • Wer in einer Midlife-Crisis steckt, erkennt manchmal nicht direkt, was der Grund dafür ist. «Ich würde mich zuerst fragen, wo das Problem genau liegt. Ist es eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, in der Partnerschaft oder im Job?», ergänzt Psychologin Perrig-Chiello. Man müsse in sich selbst gehen und herausfinden, woher die Unzufriedenheit komme.
  • Die Psychologin rät zu einer Auslegeordnung: Wie habe ich bisher gelebt? Was waren meine Träume? Und wo sind sie geblieben? «Man muss zu den eigenen Wünschen stehen und Kompromisse suchen, um diese verwirklichen zu können», sagt Perrig-Chiello. Dafür brauche es Mut, Ideen und Selbsteinsicht.
  • Die Midlife-Crisis ist keine psychische Erkrankung, kann aber dazu führen. Dann ist es wichtig, die Beschwerden ernst zu nehmen und gegebenenfalls professionelle Hilfe zu suchen.

Die Krise könne einem helfen, glücklicher zu werden. Perrig-Chiello spricht von der Talsohle des Wohlbefindens: «In der Zeit ab 40 sinkt die Zufriedenheit.» Es sei ein universelles Phänomen, unabhängig von Wohnort, Einkommen oder Geschlecht.

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«Resilienz», heisst: «Widerstand»
aus Treffpunkt vom 14.03.2022. Bild: Keystone
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Laut der Psychologin steigt die Zufriedenheit ab 55 Jahren wieder: «Man schafft es, wieder das Gute zu sehen und zu schätzen, was man erlebt hat.» Die meisten Menschen hätten sich dann an die neue Lebensphase angepasst, seien krisenerprobter und gelassener.

Radio SRF 3, Morgensendung, 20.11.2023, 05:20 Uhr

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