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Folge 1: Drei Mal NEIN zum Frauenstimmrecht. Die Männer.
Aus Akte Appenzell vom 19.04.2021.
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SRF-Podcast «Akte Appenzell» Ein Roadtrip zu den letzten Mohikanern der Schweiz

Erst seit 1991 können die Frauen in Appenzell Innerrhoden an die Landsgemeinde und damit auf kantonaler Ebene wählen und abstimmen. Zwei Frauen machen sich auf Spurensuche im Appenzell.

 Erst seit 1991 haben die Frauen in Appenzell Innerrhoden die gleichen Rechte wie die Männer. Am 27. November 1990 erhielten sie vom Bundesgericht das sofortige Wahl- und Abstimmungsrecht auf kommunaler und kantonaler Ebene. 1991 konnten sie das erste Mal an die Landsgemeinde. Ist dieser Kanton eine Insel der Ewiggestrigen, wo Frauen noch heute gegen erzkonservative Wertvorstellungen ankämpfen müssen? SRF-Redaktorin Beatrice Gmünder und Journalistin Gülsha Adilji gehen auf Spurensuche. 

«Wir gewinnen keinen Gleichstellungspreis»

«Ah, Appenzell... habt ihr dort auch Internet?» SRF-Redaktorin Beatrice Gmünder kennt die ironischen Sprüche über ihren Heimatkanton. «Und wenn es dann jeweils ums Thema Frauenstimmrecht geht, kommt es natürlich ganz dick», erzählt die 45-jährige Journalistin. 

Beatrice Gmünder kann die Vorurteile gegenüber Appenzell Innerrhoden zu einem guten Teil nachvollziehen. «Klar, mit der Tatsache, dass wir das Frauenstimmrecht erst seit 30 Jahren haben, holen wir keinen Gleichstellungspreis. Aber die Vorstellung, dass bei uns nur finstere Hinterwäldler leben und erzkonservative Männer das Sagen haben, stimmt eben auch nicht. »

Erfolgreiche und eigenständige Frauen

In Appenzell gebe es zum Beispiel eine ganze Reihe erfolgreicher Unternehmerinnen, das seien selbstbewusste und eigenständige Frauen. «Gabriela Manser, Besitzerin der Goba AG, welche die bekannte Flauder-Limonade herstellt, ist die prominenteste von ihnen.» 

Video
Ein Portrait über Gabriela Manser von «Schweiz Aktuell» (2015)
Aus Schweiz aktuell vom 05.01.2015.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 22 Sekunden.

Überhaupt sei die Sache mit der späten Einführung des Frauenstimmrechts komplizierter als auf den ersten Blick angenommen, gibt Gmünder zu bedenken. So lag es für die Autorin, die letztes Jahr für ihre  journalistische Arbeit mit dem Ostschweizer Radio- und Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, auf der Hand, dieses Thema aufzuarbeiten, und zwar in einem Podcast. «Mit einem Podcast erreiche ich nochmals ein ganz anderes Publikum als am Radio, mir war wichtig, auch junge Menschen für das Thema zu interessieren.» 

Gülsha kommt ins Spiel 

Um wirklich auch einen Blick von aussen auf ihre Heimat zu bekommen, suchte Beatrice Gmünder für ihr Podcast-Projekt eine Sparring-Partnerin – und fand diese in Journalistin Gülsha Adilji. «Gülsha verkörpert in verschiedenen Bereichen das pure Gegenteil von mir: Sie lebt in der Stadt, isst vegan und macht Yoga. Appenzell ist für sie wirklich total hinter dem Mond», so Autorin Gmünder.   

Gülsha Adilji

Gülsha Adilji

Journalistin

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Gülsha Adilji wurde bekannt als Moderatorin des TV-Senders Joiz. Die 35-Jährige lebt heute in Zürich und Berlin. Seit Anfang 2020 arbeitet sie für die Berliner Produktionsfirma turbokultur als Redakteurin und realisiert verschiedene Comedyformate, Podcasts und Late Night Shows.

Carlo Schmid überzeugte Gülsha nicht

Der erste Tag sei eine Art erlebter Geschichtsunterricht gewesen, erzählt die 35-jährige Gülsha Adilji: «Wir waren unterwegs mit Carlo Schmid, dem ehemaligen Landammann von Appenzell und langjährigen CVP-Ständerat.

Gülsha Adilji, Carlo Schmid und Beatrice Gmünder stehen in gebührendem Abstand nebeneinander.
Legende: Lebendige Diskussion: Nach dem Spaziergang durch die Hauptgasse in Appenzell mit Carlo Schmid herrscht eine aufgeräumte Stimmung. SRF

Zu dritt standen wir auf dem Landsgemeindeplatz in Appenzell, wo die Männer dreimal Nein sagten zum Frauenstimmrecht, zuletzt 1990. Für mich absolut unverständlich.» Carlo Schmids Versuch, die Ereignisse von damals mit einer gewissen Trotzhaltung der Appenzeller zu erklären, überzeugte Gülsha nicht. «Er gehört definitiv zur alten Garde», – trotzdem schätze sie, dass er sich ihren kritischen Fragen stellte. «Darum geht’s ja gerade: Ich kann und will das nicht gutheissen, aber ich möchte versuchen zu verstehen, wie es dazu kam.»   

Der Schandfleck bleibt

Die späte Einführung des Frauenstimmrechts sei ein Schandfleck für Appenzell, sagt Beatrice Gmünder, und vor allem junge Frauen könnten kaum nachvollziehen, dass damals auch Frauen zu den Gegnerinnen zählten. «Es hat mich fast aus den Socken gehauen, als mir eine Frau auf der Strasse erzählte, es habe ihr nichts ausgemacht, das Stimmrecht nicht zu haben», erzählt Gülsha. 

Selbstbestimmung trotz fehlender Vorbilder

Doch die Vorstellung, die Appenzellerinnen seien alles unemanzipierte Frauen, sei völlig falsch, sagt Beatrice Gmünder. «In unseren Gesprächen mit einer Bäuerin, einer Mittelschullehrerin und einer Jungpolitikerin wurde zwar deutlich, dass die Geschichte diese Frauen geprägt hat. Es gab in den 1990er-Jahren zum Beispiel wenig weibliche Vorbilder im Kanton. Trotzdem haben diese Frauen einen selbstbestimmten Weg gewählt. Und für die junge Generation sind die Ereignisse von damals wirklich tempi passati.» 

«Andere mussten sich das hart erkämpfen!»

Gülsha Adilji war es wichtig, die Geschichte des Appenzeller Frauenstimmrechts in einem Podcast aufzuarbeiten. «Man darf diese Ereignisse nicht vergessen. Was für uns heute selbstverständlich ist, mussten sich andere hart erkämpfen.» Und Appenzell hat sie, trotz allem, ein wenig ins Herz geschlossen: «Ich komme wieder, Beatrice!» 

Podcast «Akte Appenzell». Alle vier Folgen ab 19. April auf srf.ch/audio 

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