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Utopie und Fantasie Wieso ist es wichtig, Träume zu haben?

Von kleinen Träumen bis zu grossen Utopien: Die Angst vor dem Versagen hält uns manchmal davon ab, zu träumen. Warum es genau deshalb wichtig ist, Träume zu haben, verrät Philosoph Yves Bossart im Interview.

Im grösseren oder kleineren Rahmen «träumen» wir alle irgendwann. Gemeint ist hier das grenzenlose Fantasieren über das, was sein könnte. Als Kind ist es vielleicht der Traum, Astronautin oder Astronaut zu werden.

Als jugendlicher Mensch träumt man möglicherweise davon, ein Rockstar oder eine berühmte Schauspielerin zu werden. Und als Erwachsener stehen eventuell dann doch «realistischere» Dinge im Zentrum der eigenen Traumwelten: Eine Weltreise oder der Wunsch, endlich seine Berufung zu finden. Doch häufig wagen wir es überhaupt nicht erst, gross zu träumen. Es hemmt uns die Angst, zu versagen oder - noch schlimmer - das Publik werden des eigenen Versagens. Doch eigentlich besteht kein Zweifel: Träumen lohnt sich.

Man nehme beispielsweise Tim Berners-Lee, britischer Physiker und Informatiker. Am 12. März 1989 stellte er ein System zur Informationsverknüpfung über das Internet vor und stiess auf einige Skepsis. Dennoch hielt er an seinem Traum fest und ist mitunter der Grund, warum Sie diesen Artikel gerade lesen. Er ist der Begründer des World Wide Web.

Was Tim Berners-Lee konnte, können wir alle auch: Träumen. Wie wichtig es ist, zu träumen, erklärt Yves Bossart im Interview.

Yves Bossart

Moderator und Philosoph

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Yves Bossart, geboren 1983, ist promovierter Philosoph und arbeitet als Redaktor und Moderator für die SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» .

SRF 3: Wieso braucht der Mensch Träume?

Yves Bossart: Das ist eine sehr wichtige und schwierige Frage. Zum einen glaube ich, der Mensch hat sie einfach. Es gehört zu unserem Wesen, die Frage zu stellen: Was könnte möglich sein, was kann ich aus mir oder der Gesellschaft noch machen?

Zum anderen gibt es natürlich noch die Träume in der Nacht, Alltagsträume oder auch die ganz grossen Utopien.
Ich denke ohne all das, wäre fast nichts von dem entstanden, was wir heute Kultur, Zivilisation und Fortschritt nennen.

Träume sind je nach Mensch unterschiedlich. Trotzdem allgemein gefragt: Können sich Träume im Laufe des Lebens verändern?

Wenn man ein Kind fragt, was es werden möchte, kommt häufig eine Antwort wie «Astronaut». Weil es diesen Realitätssinn noch nicht hat. Der Mensch passt sich im Alter häufig an und wagt die grossen Träume gar nicht mehr.

Wir als Gesellschaft dürfen und sollen viel mehr träumen.

Doch wir müssen uns ab und zu daran erinnern, dass der Mensch ein Wesen ist, das alles aus sich machen kann.
Diese Freiheit müssen wir uns bewusst erhalten. Ein Traum kann wie ein Licht am Ende des Tunnels sein. Er motiviert den Menschen tagtäglich aufzustehen und etwas zu machen.

Ist das ein Appell, noch mehr zu träumen?

Unbedingt. Ich finde, wir haben zu wenig Träume und funktionieren viel zu stark mit unseren Scheuklappen. Wir als Gesellschaft dürfen und sollen viel mehr träumen. Zudem gilt noch, dass die Fantasie immer schöner ist, als die Realität. Finde ich zumindest.

Gibt es einen Unterschied zwischen Träumen und Zielen?

Ja. Ziele sind strategisch. Ich nehme mir etwas vor und weiss genau, wie ich dorthin komme. Träume hingegen haben etwas Unkontrollierbares, Hoffnungsvolles – sie liegen nicht ganz in meiner Hand.

Träume können hoffnungsvoll sein. Was aber, wenn der eigene Traum zerplatzt?

Wenn man sich stark mit einem geplatzten Traum identifiziert hat, verliert man auch einen Teil seiner Identität. Man muss sich gewissermassen neu erfinden. Das ist die Ambivalenz am Träumen: Es bietet Potenzial für Frust, weil wir scheitern können. Gleichzeitig treiben uns Träume an.

Das Gespräch führte Andreas Jucker.

«Morgenshow» Radio SRF 3, 24.10.2023, 06.30 Uhr ; 

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