Wenn ein Ostschweizer das Wort «Sprache» von sich gebe, klinge es, als erleide er beim Aussprechen einen Schlaganfall: «Sproooch». Diese Analyse stammt von Renato Kaiser, Komiker und Satiriker aus St. Gallen.
«Als Ostschweizer wirst du immer mit deiner Herkunft konfrontiert», sagt Kaiser, Gewinner des Salzburger Stiers 2020, einem der wichtigsten Kleinkunstpreise des deutschsprachigen Raums.
«Man muss den Dialekt einfach thematisieren.» Im aktuellen Programm «Neu» hingegen spielen seine Wurzeln keine Rolle mehr. «Das Thema habe ich inzwischen verarbeitet.»
Dialekt und Klischees allein reichen nicht
Kaiser ist einer von auffallend vielen Humorschaffenden, die derzeit mit einem eher grellen, vielerorts gar unbeliebten Dialekt das Publikum begeistern. Wobei der Dialekt noch keine gute Unterhaltung macht – massenhaft Klischees auch nicht.
Die Ostschweiz und ihre Salzburger Stiere
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Bild 1 von 7. Preisträgerin 2021: Kabarettistin Lara Stoll ist in Schaffhausen zur Welt gekommen und im Thurgau aufgewachsen. Bildquelle: SRF/Oscar Alessio.
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Bild 2 von 7. «Doppelstier»: Der St. Galler Kabarettist Joachim Rittmeyer bekam 1982 den allerersten Salzburger Stier, 2021 den Ehrenstier. Bildquelle: SRF/Christian Lanz.
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Bild 3 von 7. Preisträger 2020: Renato Kaiser hat seine St. Galler Herkunft in diversen Programmen thematisiert. Bildquelle: SRF/Severin Nowacki.
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Bild 4 von 7. Preisträger 2009: Liedermacher, Kabarettist und Zeichner Manuel Stahlberger kommt ebenfalls aus St. Gallen. Bildquelle: SRF/Oscar Alessio.
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Bild 5 von 7. Preisträger 2007: Kabarettist und Satiriker Simon Enzler stammt aus Appenzell Innerrhoden. Bildquelle: SRF/Mirco Rederlechner.
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Bild 6 von 7. Preisträger 2006: Der Schaffhauser Satiriker und Komiker Gabriel Vetter moderiert «Die Sendung des Monats» auf SRF. (SRF/Gian Vaitl). Bildquelle: Die Sendung des Monats auf Play SRF.
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Bild 7 von 7. Ohne Stier, dafür mit Esel: Kliby und Caroline sind mitverantwortlich dafür, dass der Ostschweizer Dialekt auf den landesweiten Bühnen salonfähig geworden ist. Bildquelle: SRF/Daniel Ammann.
St. Galler Olma, Wurst ohne Senf, Thurgau als Mostindien, inzestuöse Verhältnisse im Appenzell, Hausi Leutenegger: Geht es um die Ostschweiz, vermischen sich Klischees mit Fakten, Figuren mit Eigenheiten. Eines aber scheint wesentlich: das Ländliche, das sich durch die Region zieht.
Nur gerade drei Ostschweizer Städte – St. Gallen, Schaffhausen und Rapperswil-Jona – gehören zu den 30 grössten des Landes. «Im Thurgau ist halt schon viel weniger los als in Zürich», sagt Komikerin Martina Hügi. «Vielleicht regen eine gewisse Leere und Langeweile die Fantasie an.»
SRF 3 Best Talent Comedy 2022 Reena Krishnaraja ist im Tausend-Seelen-Dorf Grub aufgewachsen; in jenem Kanton, in dem Humor zum Kulturgut gehört: Appenzell Ausserrhoden.
«In dieser Region gibt es nicht viele Bühnen», sagt sie. «Vielleicht macht das den Reiz aus für die Comedy-Szene in der Ostschweiz.» Mangel als Antrieb – wer auftreten will, muss die Heimat in Richtung Zürich verlassen.
Und genau dort und in der deutschsprachigen Restschweiz rückt die Randregion derzeit in den Mittelpunkt – nicht nur, was Comedy betrifft.
Rockende St. Galler Underdogs
Hört man sich quer durch die Hitparade, fällt auf: Humor hat in der Musik keinen grossen Stellenwert. Bei den beiden St. Galler Bands Knöppel und Dachs ist das anders. Knöppel hat sich zum Beispiel auf Songs mit ziemlich explizitem Inhalt spezialisiert.
«Meine Musik ist eine Art Gegengewicht zu anderer Mundartmusik», sagt Midi, Sänger und Gitarrist, zudem auch als Jack Stoiker unterwegs. «Mit meinem Dialekt und einem komplett asozialen Konzept fülle ich eine Marktlücke aus.»
I chum hald us Sanggalle und i weiss nöd so recht wa sege.
Selbstironie spielt auch in den Texten von Dachs eine Rolle. Mastermind Basil Kehl erzählt Alltägliches, garniert mit abstrakten Gedanken und Wendungen.
Alles isch ez müglech, Si gwünned d’Tour de France mitem ne gleaste E-Bike und paar Pille vo de Strooss.
«Sich selbst nicht so ernst zu nehmen, ist in der Ostschweiz hoch im Kurs», sagt er. «Als Randregion sind wir die Underdogs. Daraus wächst wohl auch die Freiheit, mit einem abgelöschten Humor auf die Bühne zu treten.»
Land- und Randregion, kollektives Underdog-Dasein, auffälliger Dialekt: Ist das die Zauberformel hinter dem Humornest Ostschweiz? «Es heisst, Comedy entstehe aus einem Trauma heraus», sagt Renato Kaiser. «Auch wenn ich mit dieser These nicht ganz einverstanden bin, ist wohl tatsächlich der Dialekt das Trauma, das viele Ostschweizer auf die Bühne treibt.»
Nun, solange sie damit so gut unterhalten, freut sich das Publikum.