Bereits wenn er zu Beginn der Melodie zart über die Klaviertasten streichelt, zieht er die Hörerinnen und Hörer in seinen Bann. Klänge, die an eine Komposition von Schubert erinnern, leiten die ersten Takte ein und lassen zugleich erkennen, dass kein Geringerer als Udo Jürgens dahinter steckt. Ganz schlicht will er sein «Jenny» arrangieren – noch ein paar Streicher dazu und einen Chor, aber ansonsten ohne grossen Firlefanz.
Diese Gedanken gehen ihm durch den Kopf, als er im Mai 1959 in einem Wiener Appartement auf einem alten Flügel umherklimpert. Es ist der Moment an dem der junge Udo spürt, dass er sich musikalisch auf dem richtigen Weg befindet, auch wenn er das Ziel noch nicht abschätzen kann.
Mehr als seichter Schlager
Was er sich damals allerdings schon vorgenommen hat ist, dass er textlich mehr bieten will, als die meisten anderen Schlagerkomponisten. Er will Geschichten erzählen, die das Leben wahrheitsgemäss wiederspiegeln und dabei Wörter verwenden, die Menschen auch in ihrem normalen Alltag werden.
Freilich steht er mit diesem Wunsch bei «Jenny» noch am Anfang. Noch sitzt er alleine am Klavier und kann noch nicht auf die Unterstützung von Textdichtern zählen, die seine Wünsche verstehen. Weil ihm keine wirklich überzeugende Titelzeile einfällt, entscheidet er sich für einen Mädchennamen. Das zieht immer.
Nach grosser Lyrik klingt sein Erstlingswerk zwar noch nicht, aber er spürt, dass «Jenny» tausendmal authentischer klingt als das, was er bisher an Fremdkompositionen aufgenommen hat.
Es wird dann auch tatsächlich sein erstes selber komponierte Lied, dasals Single erscheint (nach «Wann kommt die Liebe», das 1958 aber nur als B-Seite erschien) – sowie die erste Melodie, die er als Musiknoten drucken lässt.
«Jenny» ist aber mehr als nur ein wunderbares Lied. Der Titel hinterlässt solch tiefe Spuren bei ihm, dass er später eine seiner Töchter Jenny nennt.