Die Geschichte des Rätoromanisch als vierte Schweizer Landessprache nimmt ihren Anfang in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dank dem wirtschaftlichen Aufschwung gewinnen Verkehr und Tourismus in Graubünden an Bedeutung. Als Folge davon wandern viele Romanen aus ihren angestammten Gebieten ab. Deutsch wird vielerorts zur Alltags- und teils auch zur Schulsprache. In Zahlen ausgedrückt heisst das: Der romanisch sprechende Bevölkerungsanteil sank zwischen 1850 und 1930 von fast 50 auf 31 Prozent.
Gegen den Niedergang des Rätoromanischen
Der anscheinend schicksalhafte Niedergang des Rätoromanischen mobilisiert in Graubünden Kräfte zum Erhalt dieser Sprache. 1919 schliessen sich alle regionalen Sprachverbände in der Lia Rumantscha zusammen. Das Zentralorgan soll die gesamten Anstrengungen zu Pflege und Erhalt der romanischen Sprache koordinieren.
Im gleichen Jahr wird erstmals mittels Postulat verlangt, das Rätoromanische als Schweizerische Landessprache in der Bundesverfassung anzuerkennen. 1935 gelangt die Bündner Regierung mit einer gut begründeten Eingabe an den Bundesrat. Ein Jahr später wird das Postulat auf parlamentarischer Ebene in Bern diskutiert.
Parlament sagt Ja zur Verfassungsrevision
Am 1. Juni 1937 unterbreitet der Bundesrat dem Parlament eine wissenschaftlich, kulturell und staatspolitisch reich dokumentierte Botschaft über die Anerkennung des Rätoromanischen als Nationalsprache. Kurz darauf besucht eine Kommission aus National- und Ständeräten zusammen mit Bundesrat Philipp Etter das Bündnerland, um sich in den romanisch-sprachigen Tälern ein realistisches Bild der Situation zu machen.
Auf Empfehlung der Kommission verabschieden die beiden Räte den Antrag auf Verfassungsrevision einstimmig zuhanden der Volksabstimmung. In den Voten wird die Anerkennung als eine Pflicht gegenüber den 45'000 Rätoromanen und auch gegenüber der Demokratie bezeichnet.
Klares Ja zu Rätoromanisch als vierte Landessprache
Am 20. Februar 1938 kommt die Vorlage vors Volks und wird deutlich angenommen: Den 574'991 Ja-Stimmen stehen nur gerade 52'827 Nein-Stimmen gegenüber. Sämtliche Stände nehmen die Vorlage mit überwältigendem Mehr an. Am deutlichsten fällt das Resultat in Genf aus, mit 98,8 Prozent Ja-Stimmen.
Das gute Gesamtergebnis wird von vielen als klare Antwort gegen aussen verstanden. Die Schweiz anerkennt die zahlenmässig kleinste Minderheit als gleichberechtigt mit den grösseren Sprachgruppen. Gleichzeitig werden Nachbarstaaten der Möglichkeit oder Berechtigung beraubt, sich als Hüter der Kultur eines schweizerischen Landesteils einzumischen.