Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Aktuell «Der Islam ist keine Ideologie, sondern eine Religion»

Prof. Dr. Reinhard Schulze ist Islamwissenschaftler und nimmt Stellung. Stellung zu den vielen Kommentaren und Statements, die wir nach der Ausstrahlung einer Episode von «True Talk» erhalten haben. Dabei ging es um die Bernerin Fathima, die mit Stolz ein Kopftuch trägt.

«True Talk»

Box aufklappen Box zuklappen

In unserer Webserie «True Talk» werden Menschen, die aufgrund von bestimmten Merkmalen, Eigenschaften oder Vorlieben häufig mit Vorurteilen zu kämpfen haben, mit ebendiesen konfrontiert.

Auf eine Folge unserer Webserie «True Talk» wurden wir mit Kommentaren - hier auf Facebook und hier im Online-Artikel - geradezu überhäuft. Das Thema war die junge Schweizerin Fathima, die selbstbewusst ein Kopftuch trägt. Reinhard Schulze, Islamwissenschatler an der Uni Bern, nimmt nun Stellung zu den Hintergründen des Kopftuchs und zu kritischen Kommentaren.

Zweck des Kopftuches: «Es kommt immer darauf an, welchen Zweck die Trägerin dem Kopftuch gibt. In der islamischen Öffentlichkeit gibt es allerdings schon einen Konsens: Wenn man eine Frau sieht, die ein Kopftuch trägt, wird das oftmals mit Frömmigkeit verbunden. Diese Frau transportiert diese Frömmigkeit auch gegen aussen und wird dementsprechend auch oft so in der (islamischen) Öffentlichkeit wahrgenommen.»

Ist der Islam eine Ideologie? «Das ist eine völlige Fehlinterpretation der ganzen islamischen Religionsgeschichte. Was stimmt: Es gab in den Sechziger- und Siebzigerjahren einige muslimische Akteure, die versuchten, den Islam als Ideologie zu propagieren. Realität ist aber, dass der Islam eine Religion mit einer Theologie ist. Genauso wie das Christentum und das Judentum auch.»

Ist der Islam nicht zeitgemäss? «Viele versuchen heute, den Islam theologisch neu auszulegen, ihn also modernen zu gestalten. In der westlichen Welt ist diese Wahrnehmung jedoch noch nicht angekommen. Hier wird der Islam noch recht oft mit bärtigen Fundamentalisten gleichgesetzt. Diese Fundamentalisten werden oftmals mit der ganzen Religion gleichgesetzt.»

Sollte Religion nicht lieber privat sein? «Im Westen gibt es schon seit Längerem das Problem mit neueren, anderen Religionen. Diese Probleme zeigen sich vor allem, wenn sich jene neue Religionen öffentlich zeigen. Je nach Land wird das dann strikt oder weniger strikt gehandhabt. Grossbritannien ist da zum Beispiel eher liberal eingestellt.»

Mehr zur Debatte:

Box aufklappen Box zuklappen

Wissenschaftliche Einschätzung dieser Debatte? «Es liegt offensichtlich eine Kategorisierung vor: Es wird unterschieden zwischen 'normalen' Frauen, die das Kopftuch als modisches Accessoire sehen und Frauen, die es aufgrund religiöser Gesinnung tragen. Das wundert mich sehr. Diese Spannung, die sich hier abzeichnet, könnte man sehr intensiv diskutieren. Die Debatte sollte viel eher vom Kopftuch gelöst werden und viel, viel grundsätzlicher geführt werden.»

Ist Toleranz gegenüber dem Islam kleiner als zu anderen Religionen? «Ich glaube nicht, dass sie kleiner ist. Erst einmal gilt für mich: Die Schweiz sollte dem Islam gegenüber tolerant sein, gerade eben weil die islamische Tradition bei uns eher schwach vertreten ist und auch historisch nicht besonders tief verankert ist. Man muss immer abwägen, welche Form von Toleranz gegenüber Neuem und Fremden zu gebühren ist. Heute in der Schweiz scheint es mir, dass viele Menschen die Grenzen dieser Toleranz testen wollen. Sie wollen schauen, wie weit sie gehen können. Diese Debatte wird sicherlich noch ein- bis zwei Generationen geführt werden.»

Meistgelesene Artikel