Zum Inhalt springen

SRF DOK «Im Islam wird Sexualität kontrolliert und verteufelt.»

Islam und Sexualität, dieses Themenfeld ist hochbrisant und heikel. Für die Autorin Güner Yasemin Balci ist die Unterdrückung der Frau der Kern aller Probleme. Ihr Dokfilm zeigt, wie schwer diese Rollenmuster wiegen, und wie schwierig es für junge Frauen und Männer ist, sich zu von ihnen zu lösen.

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen

Die deutsche Journalistin und Schriftstellerin Güner Yasemin Balci befasst sich seit Jahren mit der Situation von muslimischen Migranten in Deutschland. Ihr Film «Der Jungfrauenwahn» erhielt den Bayerischen Fernsehpreis. Balcis Eltern kamen in den 1960er Jahren aus der Türkei nach Berlin-Neukölln.

SRF DOK: Sie haben da ein ganz schön heisses Eisen angepackt. Warum?

Güner Yasemin Balci: Ich beobachte diese Ungleichheit zwischen den Geschlechtern seit meiner Kindheit. Das ist das Grundlegendste in jeder patriarchalen Gesellschaft. Ich wuchs in einem Viertel auf, in dem es besonders für Mädchen aus muslimischen Familien nicht selbstverständlich war, selbstbestimmt zu leben. Ich wollte herausfinden, woran das liegt. Später arbeitete ich mit Jugendlichen und kam zum Schluss, die Unterdrückung der Frauen ist nicht nur kulturell bedingt, sie kommt in jeder monotheistischen Religion vor und prägt die Entwicklung einer Gesellschaft stark. Und das ist verheerend – wenn Mädchen nicht dieselben Rechte wie Jungs haben. Als ich dann als Journalistin arbeitete, merkte ich, dass dieser Themenbereich viel zu wenig beleuchtet wird. Ich bin überzeugt: Wenn beide Geschlechter sich von überholten Rollenmustern emanzipieren, ist es gut für uns alle.

Aber eben: Islam und Sexualität sind ein heikles Themenfeld. Warum haben Sie ausgerechnet das aufgegriffen?

Weil es der Ausgangspunkt aller Probleme ist. Im Islam wird Sexualität kontrolliert, verteufelt oder im Rahmen einer Ehe wird die Frau zum Selbstbedienungsladen des Mannes. Diese Geschlechter-Apartheid ist der Kern des Problems. Wenn wir darüber nicht reden, dann passiert da nichts.

Es sind vor allem die Frauen, über deren Sexualität gerichtet wird – über die Männer im Islam und ihre Sexualität wissen wir – oder ich zumindest – nicht viel...

Sie werden, genauso wie die Frauen, durchwegs sexualisiert und das von Kindheit an. Ein erster Höhepunkt ist da die Beschneidung, wo den Buben vermittelt wird, dass von ihrem Penis ihr gesamtes Weltbild abhängt, ihre Ehrbarkeit. Gleichzeitig erleben viele Jungs dies als Psychoterror und das Frauenbild, welches ihnen vermittelt wird, zeigt dies: Jeder Mann, der eine gleichberechtigte Frau an seiner Seite haben will und nicht der Hüter der Familienehre sein will, der kriegt Probleme, kommt an Grenzen.

Dieses Bild wird von den Eltern weitergegeben, auch von den Müttern.

In erster Linie wächst man im Kollektiv auf. Alternativen zu finden ist schwierig, besonders dann, wenn im eigenen Umfeld keine Alternativen existieren. Der Kontakt zu anderen Lebenswelten fehlt. Nur wenige haben das Glück, Eltern zu haben, die bereits emanzipiert sind. Das Problem ist auch, dass der Emanzipationsprozess der Männer gar noch nicht richtig bewusst angefangen hat. Jeder kämpft für sich allein. Auch in anderen Religionen, nicht nur im Islam. Es gibt erst einzelne revolutionäre Ausbrecher.

Wenn patriarchale Rollenmuster in einem Kollektiv Konsens sind, wenn Männlichkeit unter anderem bedeutet, die Macht und Kontrolle über die Frauen zu haben, dann ist es für jeden anders denkenden einzelnen besonders schwer. Oft kann man sich dem nur entziehen, in dem man das Milieu verlässt.

Jeder, der das öffentlich diskutiert, erhält Morddrohungen.

Gab es bei den Dreharbeiten auch Themen, die Sie gerne angesprochen hätten, sich dann aber doch nicht «trauten»?

Ja, gab es. Ich hätte gerne die Sexualisierung der Kinder im Islam thematisiert – die sich zum Beispiel in der Verheiratung von Kindern äussert. Ich hätte gerne über das Kind Aischa gesprochen, dass vom muslimischen Propheten Mohammed zur Frau genommen wurde. Es ist eine Sache, dass ein Kindesmissbrauch zur Zeit dieses Propheten als ehrenhaft galt und eine andere, wie man so etwas heute sieht. Aber das ist ein sehr heikles Thema, wie so vieles, was den orthodoxen Islam betrifft. Jeder, der das öffentlich diskutiert, erhält Morddrohungen.

Ebenfalls ein Tabu: Homosexualität im Islam. Zum einen die Missbräuche, die da stattfinden und welche der Schriftsteller Khaled Hosseini in seinem Buch «Der Drachenläufer» beschreibt und zum anderen die permanente Homo-Erotik im muslimischen Alltag im Kontrast zur Verteuflung von Homosexualität, auch das ein hohes Spannungsfeld.

Sie befassen sich nun schon seit Jahren mit diesen Themen …

Ich wurde als Kind in einem feministischen Frauenprojekt sozialisiert. Es war wie eine Offenbarung, zu erkennen, dass unsere Welt geprägt ist von der Ungleichheit der Geschlechter. Und besonders moderne, freie Gesellschaften neigen dazu, das auszublenden. Selbst dann, wenn Frauen für gleiche Leistung weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Ich habe nun selbst Kinder, eine Tochter und einen Sohn und ich frage mich, was muss sich in der Erziehung ändern?

Was für eine Gesellschaft wollen wir sein, und wofür ist es wichtig zu kämpfen? Emanzipation wird heutzutage leider belächelt, dabei ist das zentral. Alle Ängste, die wir in Bezug auf das Fremde, auf Flüchtlinge hegen, haben ein und denselben Ursprung: Die Geschlechter-Ungerechtigkeit, denn sie ist eine Kriegserklärung an unsere freie Gesellschaft.

Der orthodoxe Islam, der aus der Türkei oder Saudi Arabien gesteuert wird, der ist laut.

«DOK» am Mittwoch

Box aufklappen Box zuklappen

«Der Jungfrauenwahn» , Mittwoch, 21. September, 22:55 Uhr, SRF1.

Glauben Sie noch an multikulti?

Das geht nur, wenn verschiedene Kulturen miteinander leben, nicht nebeneinander – also auch Beziehungen miteinander eingehen. Schwarz sehe ich dann, wenn wir Konflikte nicht ansprechen und diese Themenfelder den rechten Parteien überlassen. Es wurde lange versäumt, den liberalen Muslimen eine Stimme zu geben.

Der orthodoxe, rückwärtsgewandte Islam, der aus der Türkei oder Saudi Arabien finanziert und gesteuert wird, der ist laut. Die anderen sind nicht organisiert, sie sind Einzelstimmen, bei denen man sich nicht traut, ihnen eine Plattform zu geben. Es gibt aber viele Imame in Europa, den USA, die einen offenen Islam vertreten, nur wagen sich auch gerade viele Journalisten nicht, diesen Einzelnen eine Stimme zu geben.

Mir ist ganz wichtig, dass die Ungleichheit der Geschlechter als Kernproblem erkannt wird.

Und Sie selbst sehen sich auch als so eine Stimme?

Ich sehe mich eher als eine Mittlerin zwischen den Kulturen und Welten. Mein Thema ist die Freiheit des Individuums. Ich fühle mich in jeder freien Gesellschaft zu Hause, und ich wünsche mir, dass der Islam in Europa ankommt, dass zum Beispiel muslimische Kinder ihre Religion erleben können und gleichzeitig einen freien Geist entfalten.

Ich wünsche mir ein aufeinander Zukommen von beiden Seiten. Ich hatte das Glück, dass mein Hintergrund sehr liberal ist, ich wuchs nicht streng religiös auf, ich durfte frei wählen. Aber mir ist ganz wichtig, dass die Ungleichheit der Geschlechter als Kernproblem einer jeden Gesellschaft erkannt wird. Und wir müssen uns fragen, wo die Grenzen unserer Toleranz sind, denn die Freiheit des Einzelnen ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Diese Auseinandersetzung dürfen wir nicht dem Missbrauch rechter Parteien überlassen.

Vielen Dank, Frau Balci, für dieses Gespräch.

Meistgelesene Artikel