Orlando hört Stimmen. Manchmal sind sie nett, manchmal erteilen sie ihm Befehle oder versuchen, ihn zu kontrollieren. Teilweise sind es Stimmen von Personen, die er kennt und teilweise sind sie ihm völlig fremd. So vielfältig sie auch sind: Sie sind immer da.
Wann genau das erste Mal eine Stimme in seinem Kopf auftauchte, ist für Orlando schwierig zu datieren. «Es muss bereits in der Schulzeit gewesen sein», erinnert er sich. «Ich habe starkes Mobbing erlebt und irgendwann tauchten die Stimmen der Mobber in meinem Kopf auf». Gleichzeitig entwickelt Orlando sogenannte «Flashbacks». «In einem Flashback höre ich beispielsweise die Stimme meines Vaters, wie er mir befiehlt, ich solle mein Zimmer aufräumen oder die Gangschaltung meines Fahrrads wechseln», erklärt der 25-Jährige. Solch befehlende Stimmen lösen in ihm einen Kontrollwahn aus.
Ich fühle mich in meinem Tun kontrolliert, da ich in meinem Kopf Befehle erteilt bekomme.
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Drei Monate in der stationären Psychiatrie
2017 fällt Orlando in eine psychische Krise. Er hört intensiv Stimmen und leidet an grossem Kontrollwahn. Sein Beruf in der Gastronomie erschwert es ihm noch mehr, die Kontrolle zurückzugewinnen. «Ich wurde von meinen Mitarbeitern und gleichzeitig von den Stimmen in meinem Kopf kontrolliert, was zu einer totalen Überforderung führte», erinnert er sich.
Die Frage, wie es mit ihm weitergehen soll, plagt ihn jeden Tag. Dann kommt Orlando an den Punkt, an dem er sich selbst in den Notfall einweist. Er verbringt zwei Tage in ambulantem Setting und wird später für drei Monate in eine Psychiatrie eingewiesen. «Es waren drei Monate des Auf und Abs», bilanziert er. Doch trotz vieler Krisen, fühlt sich Orlando endlich geschützt und kann seinen Kontrollwahn ein Stück weit ablegen. In seinem stationären Aufenthalt erhält er schliesslich die Diagnose der paranoiden Schizophrenie. «Mir fällt es immer noch schwer, mit dieser Diagnose durchs Leben zugehen», gesteht der Berner.
Das Gefühl, in einen Topf geschmissen zu werden, ist für mich sehr verletzend.
Orlando würde gerne wieder am Berufsleben teilnehmen. «Bestimmte Anforderungen, wie zum Beispiel ein Hochschulabschluss, fühlen sich für mich an, wie die Pyramide von Gizeh: unüberwindbar», sagt er betroffen und fügt an, dass auf Personen mit einer psychischen Diagnose weniger Acht gegeben werde. Physische Beeinträchtigungen seien greifbarer und kategorisierbar. «Im regulären Arbeitsmarkt gelte ich als unterqualifiziert, in geschützten Institutionen als überqualifiziert. Ich falle also zwischen Stuhl und Bank.»
Der Minimalismus als Lebensstil
Durch die schwierige berufliche Situation steht Orlando nicht viel monatliches Budget zur Verfügung. Er lebt, wie er selbst sagt, den Minimalismus als Lebensstil. «Ich besitze nur, was ich wirklich benötige», erklärt er. «Anstatt ein grosses Bücherregal voller Bücher, habe ich nur ausgewählte, für mich inspirierende, motivierende Bücher.» Sowieso sind Bücher etwas Besonderes für ihn. So sehr, dass er aktuell an einem eigenen Buch über den minimalistischen Lebensstil schreibt.
Neben dem Verfassen des Buches tut ihm auch das Fahrradfahren sehr gut. «Während solchen Aktivitäten kann ich die Stimmen in meinem Kopf wegdrängen», erzählt er. Und wenn aus einer hinteren Ecke, ganz leise die Stimme seines Vaters ihn dazu auffordert, die Gangschaltung zu wechseln, beginnt die Auseinandersetzung mit seiner Krankheit von vorn. Doch Orlando bleibt stark und stellt sich dieser Herausforderung jeden Tag aufs Neue.