Therapiestunden kennt Remo schon seit Kindesalter. Der heute 29-jährige Baselbieter, der mittlerweile ganz offen in einem Blog dervolpe.ch über seine Depressionen schreibt, muss mit acht Jahren ein erstes Mal therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. «Damals ging es aber nicht um eine Depression, sondern um mein Tourette. Einer meiner Tics war, dass ich meinen Kopf immer wieder in meinen Nacken zurückschnellte.» Verstärkt werden die Tics durch den Suizid seines Grossvaters. Dank Therapiestunden bei einem Psychiater bessern sich die Symptome. So richtig als Therapie hat Remo damals die Stunden aber nicht verstanden: «Er brachte mir damals Schach bei. Wahrscheinlich als Weg, um mich von meinen Tics lösen zu können.»
Dies hilft Remo zu dieser Zeit. Doch im Jugendalter wird es für ihn immer schwerer, einen Tritt zu finden und morgens aus dem Bett zu kommen. Als fliessenden Übergang ins Negative bezeichnet er diesen Lebensabschnitt, denn die Depression ersetzt das Tourettesyndrom. Er reiht Fehlstunden aneinander und die Lehrer*innen und Eltern beginnen, sich Sorgen zu machen – denn eigentlich gilt Remo als guter und ambitionierter Gymnasiast. «Es fühlte sich an, als hätte sich eine bleierne Decke über mich ausgebreitet.» Und hier kommen auch wieder die Therapiestunden ins Spiel. Die Diagnose diesmal: Depressionen. Remo war da 16 Jahre alt.
Schlüsselmoment in Mainz
Remo will dies zu Beginn nicht annehmen. «Ich bezeichnete mich selbst als faule Ratte. Die Diagnose anzunehmen, zu akzeptieren, verlangte mir extrem viel ab. Doch irgendwann schaffte ich den Turnaround.» Er bricht das Gymnasium ab, macht eine Lehre mit Berufsmatur und beginnt danach ein Journalismus-Studium.
Ich machte die Dinge nur noch für meinen Lebenslauf.
Nebenbei macht der damals 25-Jährige auch noch Karriere im Militär, wird sogar Stabsoffizier. Was darauf folgt, ist wiederum eine grosse Leere in Remos Leben. «Es war mir alles zu viel. Ich war nicht mehr ich selbst, machte die Dinge nur noch für meinen Lebenslauf. Ich fiel in ein Loch.»
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Dieses Auf und Ab begleitet Remo auch auf seinem weiteren Weg. Er ergattert sich einen der begehrten Praktikumsplätze beim Fernsehsender ZDF in Mainz. Seine Vorfreude ist immens. Doch schon auf dem Weg in Richtung Deutschland merkt der Journalist, dass er wieder auf eine Baisse zusteuert. «Ich begann zu realisieren, dass ich in diesem Zustand mein Praktikum nicht absolvieren kann.» Nach einigen Tagen ist der Entscheid gefallen und er ruft schweren Herzens bei seinem zukünftigen Arbeitgeber an und meldet sich ab. Doch auch die Wohnung, für welche er einen Mietvertrag über drei Monate hat, muss gecancellet werden. Er redet mit der Vermieterin und erklärt ihr die Situation. «Es war das erste Mal, dass ich jemand Fremden sagte, dass ich Depressionen habe. Meine Vermieterin war so verständnisvoll, hat mich sogar in den Arm genommen. Es hat so gut getan!» Für Remo ein Schlüsselmoment.
Zuhause angekommen, bricht Remo in Tränen aus. Freudentränen, wie er selbst sagt. «Es war, als hätte mein Körper gejubelt, dass er endlich eine Pause machen darf.»
Zu sich selbst gefunden
Kurz darauf begibt er sich in eine Klinik und hat das erste Mal seit Langem wieder Zeit für sich selbst. Remo kann sich dort im Atelier selbst verwirklichen, es wird für ihn gekocht, gewaschen und kann er wieder ein Buch lesen. Remo kann sich endlich intensiver mit seinem Inneren auseinandersetzen und er kommt zu einer Erkenntnis: «Ich musste mir klarmachen, dass ich mein Leben radikal ändern muss, um wieder gesund zu werden.» Zudem lernt er in der Klinik kleine Tricks, die ihm noch heute in Stresssituationen helfen: Etwas scharfes Essen oder ein ausgedehntes Bad helfen ihm, seine Gedanken zu ordnen.
Heute arbeitet Remo als Journalist bei 20 Minuten und schreibt dort unter anderem über Mental Health. Zudem betreibt er seinen Blog «Der Volpe», wo er über seine persönlichen Erfahrungen mit der Depression schreibt. Er sagt klar, dass er kein Therapeut sei: «Auf meinem Blog teile ich mit, was mir in gewissen Situationen geholfen hat. Das soll für andere Betroffene und auch Angehörige als Inspiration dienen.»
Nein, das schaffe ich!
Dank den positiven Rückmeldungen ist es für ihn heute kein Problem mehr, seine Krankheit in seinem Umfeld oder auch bei seinem Arbeitgeber zu thematisieren. Als er im Bewerbungsgespräch gefragt wird, ob es für ihn mit der Depression problematisch wird, den Job zu bewältigen, kennt Remo nur eine klare Antwort: «Nein, ich schaffe das!»