Jede:r kennt das unbehagliche Gefühl der Übelkeit, wenn einem das Unwohlsein einnimmt und vor jeglicher Aktivität lähmt. Das Gute: Meistens geht dieses Gefühl schnell wieder vorbei.
Nicht aber bei Lisa. «Mir ist seit 10 Jahren schlecht. 24 Stunden am Tag», erzählt sie. «Es fühlt sich ständig so an, als müsste ich mich früher oder später übergeben.» Wenn Lisa entspannt ist, kann das Gefühl nachlassen, unter Druck oder in Stresssituationen, wird es jedoch stärker. In all den Jahren musste sie aber nur ein einziges Mal tatsächlich erbrechen. Der Gedanke daran begleitet sie trotzdem auf Schritt und Tritt und lässt sich diagnostizieren: Es ist Emetophobie, die Angst vor dem Erbrechen.
Mobbing und seine langwierigen Folgen
Lisa sieht ihre psychische Erkrankung als ein Ausdruck des Leidens aus ihrer Jugend. «Als Kind war ich sehr lebhaft und wollte überall dabei sein», erinnert sie sich. Schnell merkt sie, dass sie mit ihrer Art auf Ablehnung stösst. «Ich fühlte mich sehr oft ausgeschlossen.» Das Mobbing in der Schule wird immer schlimmer und prägt sie bis heute. «In mir drin wurde ich diesen Mobbingopfer-Status nie ganz los.»
Obwohl Lisa sich selbst als eine extrovertierte Person beschreibt, geht sie häufig davon aus, dass ihre Mitmenschen sie zu Beginn nicht mögen. «Während andere bei Null beginnen, beginne ich bei Minus Zehn und habe das Gefühl, um die Gunst meiner Mitmenschen kämpfen zu müssen», beschreibt sie das Gefühl. «Mobbing und seine Auswirkungen auf das spätere Leben sollen stärker thematisiert werden», betont die heute 28-Jährige.
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Das Problem der Übelkeit zeichnet sich jedoch erst mit der Zeit ab. Das erste prägende Erlebnis geschieht, als sie 16 Jahre alt ist. «Mein damaliger Freund und ich erlebten eine Verhütungspanne. Wegen der Angst vor einer Schwangerschaft litt ich einen ganzen Monat an Übelkeit.» In ihrer Not wendet sich die gebürtige Deutsche mit viel Überwindung an ihre Familie. Anstatt Unterstützung zu erhalten, wird sie jedoch mit Vorwürfen konfrontiert.
Was, wenn Lisa schlecht wird?
Der zweite Schlüsselmoment geschieht kurz vor ihrem Abiturabschluss. Ein Schulkollege verdirbt sich während eines Restaurantbesuchs den Magen und muss sich in einem privaten Garten übergeben. Der Eigentümer des Grundstücks wird enorm wütend. Lisa kann sich noch an jedes Detail erinnern: «Ihm beim Erbrechen zusehen zu müssen und das Gefühl dieser Hilflosigkeit und Erniedrigung waren sehr schlimm.» Bis heute malt sich Lisa ihre Situation so aus, wenn sie selbst erbrechen müsste.
Der erdrückende Gedanke, ‹Was, wenn mir schlecht wird?›, begleitet mich jeden Tag.
Auch Lisas Alltag wird durch die Emetophobie bestimmt. «Wenn ich auswärts essen gehe, würde ich mir nie etwas Schweres bestellen, da mein Magen damit Mühe haben könnte. In meiner Handtasche befinden sich immer Tabletten gegen Übelkeit und ein kleiner Plastiksack, falls ich erbrechen muss», klärt sie auf. Ausserdem vermeide sie Situationen, in denen andere Leute sich übergeben könnten. Beispielsweise Orte, wo viel Alkohol getrunken wird.
Mit psychologischer Hilfe zur Besserung
In den ersten drei Jahren begibt sie sich auf eine Ärzte-Odyssee, um die körperliche Ursache ihrer Übelkeit zu finden. Eine Diagnose kann ihr niemand stellen. Durch das ständige Unwohlsein leidet ihre Lebensqualität zunehmend und sie durchgeht depressive Phasen. Als während des Studiums zusätzlich chronische Kopfschmerzen, Schlafstörungen und eine Daueranspannung dazukommen, holt sich Lisa psychologische Hilfe. «Ich wusste, ich konnte so nicht mehr weiterleben», sagt sie.
Seither sind sieben Jahre vergangen. Mit der Psychotherapie hat Lisa einen Weg gefunden, mit der Krankheit umzugehen. Das Grundsymptom – das ständige Gefühl der Übelkeit – begleitet sie zwar heute noch, doch die Angst davor, hat sich bedeutend reduziert. «An guten Tagen weiss ich: Wenn ich mich übergeben muss, dann hatte mein Körper das einfach nötig», sagt Lisa pragmatisch. Es sei noch ein weiter Weg, das Gefühl der Angst ganz loszulassen. Aber die junge Frau bleibt zuversichtlich: «Irgendwann wird es wieder», sagt sie hoffnungsvoll.