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Rehmann «Mit 21 habe ich einen Hirnschlag erlitten»

Komaträume, Sprachlosigkeit und das, ohne den Humor zu verlieren: Wie ein Hirnschlag das Leben von Martin (28) von einem Tag auf den anderen veränderte, erzählt er im Gespräch mit Robin Rehmann.

Martin erinnert sich an starke Kopfschmerzen während dem Tanztraining. «Wahrscheinlich habe ich zu wenig getrunken», denkt er sich an diesem Nachmittag vor sieben Jahren. Ein paar Tanzschritte später und der Zürcher geht plötzlich zu Boden. «Ich habe alles um mich herum wie durch eine Scheibe wahrgenommen, sprechen konnte ich nicht mehr.»

Im Spital angelangt gibt er sich zunächst positiv. Niemand ahnt, wie schwerwiegend dieser Sturz für Martin ist. Er fällt ins Koma. Die Diagnose: Hirnschlag und Hirnblutung. Was folgt ist ein langer Leidensweg.

Dieser Hirnschlag hat meine Zukunftsträume zerstört.

Martin ist für zehn Tage in einem Koma – und erinnert sich danach sehr genau daran. Nicht an das, was in der Realität um ihn herum passiert, sondern an seine Träume. «Ich erinnere mich an ein einsames Haus im Wald. Als ich dort hineingegangen bin, fesselten mich die Ärzte und quälten mich.» Im Traum wehrt er sich und greift sich an den Arm. Das tut er auch in der Realität und verschiebt sich mehrmals den Verband.

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Wenn Alltägliches plötzlich unmöglich scheint

Als er aus dem Koma aufwacht, wird er sogleich von seinen Eltern begrüsst, die ihm erzählen, was passiert ist. Als Martin antworten will, kommt er zu einer ernüchternden Erkenntnis: «Ich konnte nicht mehr sprechen, auch an lesen und schreiben war gar nicht mehr zu denken.» Das Allerschlimmste für ihn: Er versteht jedes Wort, kann sich selbst aber nicht artikulieren. Und selbst alltägliche Dinge, wie alleine auf die Toilette zu gehen, funktionieren nicht mehr. Martin wird zum Pflegefall.

Als ein Pfleger ihn aus dem Bett hebt, um ihn in den Rollstuhl zu setzen, fühlt Martin sich im ersten Moment wie im falschen Film. Denn er denkt sich, dass er doch selber aufstehen könne. Als er aber merkt, dass das nicht funktioniert, versteht er die Welt nicht mehr. Vor lauter Verwunderung muss er lachen, da ihm diese Situation so abstrus vorkommt. Auch das Sprechen gelingt Martin zu diesem Zeitpunkt noch nicht und er fühlt sich gefangen im eigenen Körper.

«Ich konnte ja nicht sagen, dass es mir zu viel ist»

Seine Angehörigen sind – wie er selbst – mit der Situation überfordert. Sie schreiben ihm Karten, besuchen und unterhalten ihn. «Ich konnte jedoch noch immer nicht sprechen, geschweige denn die Karten lesen, die mir geschrieben wurden», sagt er und berichtet zugleich von einer totalen Reizüberflutung. «Ich konnte den Leuten ja nicht sagen, dass es mir zu viel ist.»

Nach seinem Spitalaufenthalt wird er in die Rehaklinik in Valenz verlegt. Dort ist er für fünf Monate vom Heimweh geplagt. «Ich bin kein Fan von den Bergen», meint er. Doch der heute 28-Jährige macht extreme Fortschritte: Er steht wieder auf beiden Beinen, wenn auch unter massiven Schmerzen. Auch seinen Wortschatz findet er schrittweise wieder. Woran Martin nie gezweifelt hat, grenzt für seine Ärzte an ein Wunder.

Dank der guten Beziehung zu seiner Logopädin gelingt ihm das Sprechen immer besser. Doch der Weg ist steinig. Als zum Beispiel Martins Neffe seine Kommunion feiert, will er das bei einem Treffen mit Freunden erzählen: «Ich brauchte eine Stunde, um einen Satz formulieren zu können», erinnert sich Martin an diese schwierige Zeit.

Stück für Stück zum Leben zuvor

Eine weitere grosse Stütze in Martins Leben ist seine beste Freundin, die in dieser schwierigen Zeit immer an seiner Seite steht. «Sie sagt immer: ‹Du musst reden! Sonst kann ich dich nicht verstehen.› Das motiviert mich», meint er.

Ich konnte nicht aufgeben, sonst wäre ich depressiv geworden.

Das Maximum hat er, wie er selbst sagt, noch nicht erreicht. Jetzt will der 28-Jährige die Lehre als Mediamatiker abschliessen und sich mehr Selbstständigkeit im Leben erkämpfen. Eine eigene Wohnung ist sein nächstes grosses Ziel. Denn «Aufgeben» gibt's nicht im Vokabular von Martin. So wird er sich mit jedem Jahr Stück für Stück sein Leben zurückerobern.

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

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