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«Ich war ein Heim- und Pflegekind»
Aus Rehmann vom 13.09.2021.
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Rehmann «Als Heimkind kannst du dich auf niemanden verlassen»

Rose wuchs in Heimen und Pflegefamilien auf und hatte es nicht einfach. Mit welchen Vorurteilen sie sich konfrontiert sah und wo es noch heute an Unterstützung für sogenannte «Careleaver» fehlt, erzählt sie Robin Robin Rehmann im Gespräch.

«Fremdplatzierung finde ich ein komisches Wort», findet Rose. Und sie weiss wovon sie spricht. Rose hat einen grossen Teil ihrer Kindheit und Jugend in Heimen und Pflegefamilien verbracht. «Meine eigene Familie war mir fremd, nicht das Heim oder die Pflegefamilie.»

Im Alter von neun Jahren kommt Rose in ein Heim. «Man kommt in diese Welt, abseits der Gesellschaft», beschreibt sie. «Du bist da plötzlich mit vielen Leuten zusammen und musst zuerst den Platz in der Gruppe finden.» Schon früh sieht sich das junge Mädchen mit Stigmatisierungen konfrontiert.

Mir wurde immer gesagt, wenn du nicht lieb bist, kommst du ins Heim.

Als Heimkind müsse man beweisen, dass man gleich gut ist, wie Kinder, die in eigenen Familien aufwachsen. In der Gesellschaft werde das Problem häufig bei dem Kind gesucht und nicht in den familiären Verhältnissen, sagt sie.

Aufwachsen mit Stigmatisierungen und Vorurteilen

Rose sieht den Grund, warum sie nicht zuhause wohnen darf, lange bei sich selbst. Aber auch von Aussenstehenden wird sie gefragt, was sie denn «verbockt» habe, dass sie im Heim lebe. «Erst später, als ich meine Akten einsah, stellte ich fest, dass es nichts damit zu tun hatte, dass ich nicht ‹lieb› war», erinnert sie sich. «Ich dachte, es ist eine Strafe, also darf es mir nicht gefallen und ich muss sagen, dass ich nachhause möchte», fühlte sich Rose verpflichtet. Wenn jemand genauer nachgefragt hätte, hätte man wohl gemerkt, dass ich es im Heim eigentlich ziemlich schön fand.» Eine adäquate Information an das betroffene Kind sei enorm wichtig und würde vernachlässigt, ist die Winterthurerin überzeugt.  Auch fehle es häufig an konstanten Bezugspersonen. «Sozialpädagogen kommen und gehen, sobald man etwas Vertrauen aufgebaut hat», erzählt Rose. «Heimkinder sind es meistens gewohnt, sich gut auf neue Beziehungen einzulassen, haben aber häufig auch keine Mühe damit, diese wieder aufzugeben.»

Man gewöhnt sich dran, sich auf niemanden zu verlassen.

Kinder und Jugendliche, die in einer Pflegefamilie oder in einem Heim aufwachsen, sind meistens mit aussergewöhnlichen Herausforderungen konfrontiert. Es falle ihnen schwer, über Probleme zu sprechen, da die Hemmungen aufgrund von Vorurteilen gross sind. Deshalb seien konstante Beziehungen, auch ausserhalb des Heims, wichtig für die Adoleszenzphase, zeigt Rose auf.

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

Fehlende Unterstützung für «Careleaver»

Bis Rose 20 Jahre alt war, verbrachte sie ihr Leben in Pflegefamilien und einem Heimen. Danach war sie eine sogenannte «Careleaverin». «Careleaver» ist ein Fachbegriff und steht für junge Erwachsene, die einen Teil ihres Lebens in einer stationären Kinder- und Jugendhilfe verbracht haben und sich im Übergang in ein eigenständiges Leben befinden. «Wenn man das Heim oder die Pflegefamilie verlässt, hat man von heute auf morgen keine Unterstützung mehr», erzählt sie. «Die jungen Menschen sind auf Sozialhilfe angewiesen, die häufig rückzahlungspflichtig ist und spätere Schulden mit sich bringt.» Heute setzt sich die 33-Jährige als Präsidentin des Vereins «Careleaver Schweiz» für ehemalige Heim- und Pflegekinder ein. «Diese Menschen sollten keine Sozialhilfe beziehen müssen und die Möglichkeit zu einem selbständigen Leben erhalten», sagt sie mit Überzeugung. «Ich wünsche mir mehr Normalität und gleiche Chancen, ohne Vorurteile und Stigmatisierungen.»

 

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