Schon seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr leidet Simone an einem Reflux. Weil dieser Säureaufstoss einen immer grösseren Einfluss auf ihre Lebensqualität hat, sie keine Säureblocker mehr nehmen möchte und auch ihre Zahnärzt:innen sie darauf hinweisen, dass ihre Zähne bereits erheblichen Schaden genommen haben, entscheidet sich Simone 2019 für eine Magen-OP.
Der Eingriff, bei der u. a. ihr Magenschliessmuskel nachgebildet wird, verläuft zuerst gut – trotzdem braucht Simone anschliessend knapp neun Monate, bis sie wieder vollständig auf den Beinen ist. Um den Rehabilitationsprozess endgültig abzuschliessen, möchte sich Simone eine längere Auszeit gönnen. Sie kündigt ihre Arbeitsstelle und plant einen sechsmonatigen Aufenthalt in Thailand.
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Nach drei Monaten in Thailand wird Simone jedoch von Schmerzen im Beckenbereich geplagt. Jeder Gang aufs WC wird zu einer Qual. Sie vermutet eine Blasenentzündung, die sie ohne Erfolg mit Antibiotika zu behandeln versucht. Auch im Spital bekommt sie in Thailand von den Ärzt:innen keine Lösungsvorschläge für ihre Situation.
Also entscheidet sich Simone für eine temporäre Rückkehr in die Schweiz – mit dem Rückflugticket nach Thailand bereits in der Tasche.
Von der Ursache keine Spur
Zurück in der Schweiz unterzieht sich Simone einer Blasenspiegelung, die Ärzt:innen diagnostizieren eine Harnröhrenentzündung. Erneut bekommt Simone ein Antibiotikum verschrieben. Es hilft nichts, die starken Schmerzen bleiben. Innert kürzester Zeit landet sie dreimal auf der Notfallstation im Spital. Denn nicht einmal mehr starke Schmerzmittel helfen ihr gegen die Schmerzen. «Das hat mich an den Rand der Verzweiflung gebracht», erinnert sich die 42-Jährige.
Ich habe jeden Abend geweint vor Schmerzen.
Es folgt ein Spiessrutenlauf durch unzählige Untersuchungsräume: chronische Blasenentzündung? Eine Harnwegsinfektion? «Pelvic Pain Syndrome»? Ein seltener Parasit, den Simone in Thailand aufgelesen hat? Oder sind ihre Schmerzen am Ende doch nur psychosomatisch? Die Ärzt:innen finden keine Ursache für Simones immer grösser werdenden Schmerzen: «Ich habe jeden Abend geweint vor Schmerzen», erzählt sie.
Irgendwann fällt Simone auf, dass ihre Schmerzen mit ihrem Zyklus zusammenhängen. Sie besucht eine Endometriose-Spezialistin. Diese vermutet eine Endometriose. Um diese endgültig zu diagnostizieren, braucht es eine Bauchspiegelung. Bei der nachfolgenden Bauchoperation wird die Diagnose bestätigt: Endometriose an verschiedenen Stellen. Auch die Gebärmutter und die Blase sind betroffen.
Zudem werden Darmverwachsungen gefunden, die operativ gelöst werden müssen. Eine – kurzfristige – Erleichterung für Simone. «Die Diagnose war eine Genugtuung für mich. Ein Zeichen, dass ich meinen Körper eben doch richtig wahrgenommen habe.»
Auch Monate nach der OP halten die starken Schmerzen an. Da die Gebärmutter anscheinend auch stark betroffen ist (Adenomyose), entscheidet sich Simone für eine Gebärmutterentfernung, in der Hoffnung bezüglich der Schmerzen etwas Linderung zu erfahren. Der Eingriff ist schmerzhaft, verläuft jedoch gut. Doch bereits fünf Tage nach der OP fällt Simone auf, dass sie erneut unter einer Blasenentzündung leidet. Dieses Mal sind die Schmerzen anders, innert kürzester Zeit schlimmer und stärker als je zuvor.
Da kommst du dir dann vor als ob du spinnst.
Simone sucht notfallmässig ihren Arzt auf und wird stationär behandelt. Doch das Bild bleibt dasselbe: die Ursache der neuen, zusätzlichen Schmerzen werden vorerst nicht gefunden. Eine Ultraschalluntersuchung zeigt keinerlei Probleme, die Urinwerte bewegen sich ebenfalls auf einem ordentlichem Niveau. «Da kommst du dir dann vor als ob du spinnst», erinnert sie sich. «Mit chronischen Schmerzen wird man schnell abgestempelt, sprich es wird alles auf die chronische Problematik geschoben.»
Die Aargauerin soll – trotz immensen Schmerzen – aus dem Spital entlassen werden. Erst als sie per Zufall eine ehemalige Arbeitskollegin auf dem Spitalflur antrifft, die sich enorme Sorgen um Simones Gesundheitszustand macht, ändert sich die Situation.
Simones ehemalige Mitarbeiterin bestellt einen Urologen auf ihr Zimmer, der ein Loch in ihrer Harnblase feststellt. Ab sofort muss Simone mehrere Wochen lang einen Katheter tragen, damit das Loch wieder zuwachsen kann.
Vorerst kein Leben ohne Schmerzen
Mittlerweile befindet sich Simone erneut im Rehabilitationsprozess, ihr Alltag wird aber nach wie vor von ihren Schmerzen regiert. «Die Schmerzen sind immer da. Mal mehr, mal weniger.»
Noch immer kann Simone keiner geregelten Arbeit nachgehen. Sehnlichst wünscht sie sich eine Rückkehr ins «normale» Leben, aber Tagesausflüge oder auswärtige Übernachtungen liegen momentan nicht drin.
Doch auch wenn sich Simone zwischenzeitlich bei «EXIT» angemeldet hat, da die Schmerzen und Beschwerden an manchen Tagen kaum auszuhalten sind. Mit verschiedenen Therapieansätzen und einem Schmerz-Mediziner (Anästhesist) versucht sie in einem Schmerzambulatorium ihre Schmerzen in den Griff zu bekommen. «Es ist jeden Tag noch immer ein Kampf», sagt Simone, bevor sie zugleich anfügt: «Ich bin eine extreme Kämpfernatur, ich gebe nicht auf.»