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«Ich musste mit neun Jahren die Rolle des Vaters übernehmen»
Aus Rehmann vom 08.02.2021. Bild: SRF
abspielen. Laufzeit 39 Minuten 8 Sekunden.
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Rehmann «Ich musste mit neun Jahren die Rolle des Vaters übernehmen»

Jason (23) wurde im Körper eins Mädchens geboren, doch so richtig wohl fühlt er sich in diesem Körper nie. Über seinen Leidensweg, versuchte Outings und die Vaterrolle, in die er sich früh gezwungen sah, spricht er bei Robin Rehmann.

Dass er anders ist als all die Mädchen um ihn herum, merkt Jason früh. Die Haare sind kurz, die Kleider männlicher und das Zugehörigkeitsgefühl zu Mädchen ist auch nicht vorhanden. Und als wäre dies nicht schon genug, trennen sich seine Eltern, als er gerade mal neun Jahre alt ist. «Daran hat meine Mutter sehr gelitten und das tut sie heute noch.»

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

Für Jason ist es eine schwierige Zeit. Der Bruder, erst siebenjährig, kann noch keine unterstützende Rolle einnehmen und der Mutter geht es durch die Trennung so schlecht, dass Jason sich in die Vaterrolle hineingezwungen sieht. «Wenn meine Mutter beispielsweise zum Einkaufen gefahren ist und fast eine Stunde brauchte, dann musste ich sie anrufen und fragen, wo sie bleibt.» Umgekehrte Rollenverteilung also. Dass es dem Vater gut geht und er sich ein neues Leben aufbaut, trägt auch nicht gerade positiv zur Situation bei.

Die Schuld bei sich gesucht

Auch in der Schule ist es nicht einfach für den heute 23-Jährigen. «Auf dem Dorf wird nur zwischen Mädchen und Jungen unterschieden, dass sich jemand anders fühlt, kannte man nicht.» Schwierigkeiten bereitet ihm vor allem sein Lehrer, der sehr dominant und aufbrausend ist und sogar so weit geht, dass er Jason vor der ganzen Klasse blossstellt. «Ich habe heute noch extrem Mühe mit dominanten männlichen Personen.»

Ich musste stark bleiben

Eine Tragödie ereignet sich, als Jason 12 Jahre alt ist. Er muss dabei zusehen, wie sein Hund, sein wichtigster Bezug, ertrinkt. «Ich warf ihm während des Spazierens ein Stöckchen und er sprang in den Bach. Er kämpfte gegen den Strom, und als ich ihn endlich rausziehen konnte, war er schon am Ende seiner Kräfte.» Die Situation ist zu viel für den Teenager. «Meine Mutter und mein Bruder weinten unaufhörlich. Ich musste stark bleiben.» Bis heute gibt er sich selbst die Schuld am Tod des treuen Wegbegleiters.

Wie überfordernd die Situation für ihn schon vor dem Tod seines geliebten Hundes ist, zeigt sich an seinen Selbstverletzungen. «Es begann mit kleinen Schnitten am Arm mit einem Japanmesser, wurde aber so schlimm, dass ich meine Wunden oft nähen musste.» Es darf nicht vergessen werden, dass sich Jason noch immer nicht wohl fühlt in seinem Körper. Ein erster Outingversuch wird vom Umfeld als Pubertät weggelächelt. Durch einen Umzug in die Stadt folgt für Jason auch ein Schulwechsel. Dank diesem steigt die Hoffnung, dass alles besser wird. Dort wird er aber wegen seines Aussehens und der Art, wie er sich gibt, von den Jungs in der neuen Schule gemobbt. Zum Glück hat er zu dieser Zeit einen Lehrer, der ihn sehr unterstützt.

Endlich richtige Hilfe

Die Selbstverletzung nimmt aber immer noch zu. Nach gescheiterten stationären Klinikaufenthalten und ratlosen Ärzten findet Jason endlich einen Arzt, der sich seiner annimmt. «Er war völlig anders zu mir als die Ärzte, die ich zuvor kennengelernt habe. Er war einfühlsam und zeigte mir Wege auf, die ich zuvor noch nicht gekannt habe.»

Für mich war klar, dass ich mich entweder Jason oder Levi nennen würde

Vor vier Jahren dann der nächste Meilenstein. Diesmal gelingt das Outing. Voller Stolz erzählt er, wie er sich mit seiner ersten Packung Testosteron in den sozialen Medien zeigt. «Ich hoffte auf möglichst schnellen Bartwuchs, denn darauf lege ich grossen Wert.» Unterdessen hat es auch geklappt und die Gesichtshaare spriessen. Auch von der Familie erfährt er grosse Unterstützung. «Meine Mutter wollte mir bei der Namensgebung helfen, doch für mich war klar, dass ich mich entweder Jason oder Levi nennen wollte.» Daraus ist nun Jason Levi geworden.

Mittlerweile lebt er in einer betreuten WG. «Bei Mama würde es nach wie vor nicht gehen.» Endlich ist er angekommen. Er hat Freunde, die ihn unterstützen. Im betreuten Wohnen lässt man sich auf ihn ein und hilft, wo man nur kann. Seine Ziele für die Zukunft? «Ich will selbstständig leben können und eine Lehre als Velomechaniker absolvieren.»

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