Als gleichgeschlechtlich empfindender Mann in eine freikirchlich-christliche Herkunftsfamilie reingeboren zu werden sei kein Pech, es sei viel mehr eine Herausforderung, sagt Mättu.
Die Diagnosen bedeuten, jedenfalls im fundamentalistisch orientierten Teil der Verwandtschaft, so viel wie ‹Gott straft sofort›.
Und trotzdem muss er anfügen: Es würden mehr Leute mit HIV leben als man denkt, man sehe es ja den meisten nicht mehr sofort an wie früher, die Lebenserwartung sei nicht zuletzt auch dank der Forschung dieselbe, meint Mättu.
Er bereut gar nichts, es sei viel mehr eine Konsequenz aus seinem freiheitsliebenden Lebensstil. «Ich habe Party gemacht und ausprobiert was ich ausprobieren wollte. Ich war mir der Folgen damals noch nicht ganz bewusst, aber bin jetzt Mann genug, alle Konsequenzen zu tragen.»
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Erste Überforderungen
Seine erste Überforderungen mit dem eigenen Leben erlebt Mättu schon Jahre vor seinen Diagnosen. Die häusliche Gewalt seines jähzornigen Vaters bringt eine konstante Unsicherheit und permanente Grenzüberschreitungen mit sich. Später arbeitet er als Kaufmann im Berner Liebefeld. Eines Tages, als er am Mittag ein wenig Zeit für sich braucht, fährt er mit dem Velo in Richtung Altstadt. «Ich würde es als Suizidabsicht bezeichnen. Als ich auf dem Trottoir der Brücke stand, wusste ich, dass es so nicht weitergehen kann.» Mättu versucht daraufhin 143 (Die Dargebotene Hand) zu kontaktieren, welche sich genau in diesem Moment leider nicht sofort um ihn kümmern kann.
Mein Vater hat gefragt, was er falsch gemacht hat und meine Mutter hat angefangen zu weinen.
«Ich ging zum Waisenhausplatz und sprach zwei Verkehrspolizistinnen an. Sie haben mich direkt zu einem Care-Team gebracht.» Dort entschliesst sich Mättu, einen wichtigen Schritt zu machen: «Ich sagte dem Betreuer, ich wolle zu meinen Eltern und mich outen.»
«Mein Vater hat gefragt, was er falsch gemacht hat und meine Mutter hat angefangen zu weinen», erinnert er sich. Mit dieser Reaktion musste Mättu rechnen, jedoch hätte er sich eine andere (normalere bzw. freudigere) gewünscht.
Die Entdeckung seiner Sexualität
«Es gab Momente wo ich mir dachte, verknall dich doch einfach in eine Frau, es würde alles einfacher machen.» Zu Beginn sträubt sich Mättu gegen seine Sexualität, später gibt er sich voll in sie rein. «Ich ging auf Partys, auf welchen es mehrheitlich um Sex und Alkohol ging.» Mättu erhält immer wieder Angebote per Chat. «Es ist teilweise um getragene Unterwäsche gegangen und einfach um alles Mögliche und Unmögliche.»
Der Schritt in ein solch extremes Umfeld sei nicht nur aus rebellischen Gründen passiert. «Später konnte ich auch das Konsumverhalten von meinem damaligen Partner nicht richtig einschätzen. Zu Beginn habe ich zu Drogen nein gesagt. Doch als ich es zum ersten Mal probiert habe, merkte ich, dass es etwas mit mir macht. Mein Wochenende bestand häufig nur aus Konsum Sex und Alkohol, bevor ich am Montagmorgen wieder zur Arbeit ging», erzählt er.
Die nächste Überforderung
Ein Schlüsselmoment ist eine Polizeikontrolle in Zürich, wo sein damaliger Partner lebt. «Entweder verlierst du deinen Fahrausweis, deinen Arbeitsplatz und kommst in den Knast oder du bekommst dein Leben wieder in den Griff», denkt sich Mättu.
Ich ergriff die Initiative, fuhr ins Inselspital und legte meinen Konsum und meine Situation offen.
Etwa einen Monat nach dieser Polizeikontrolle weiss er, dass es so nicht weitergehen kann. «Ich ergriff die Initiative, fuhr ins Inselspital und legte meinen Konsum und meine Situation offen.» Er kommt noch mitten in der Nacht in der Privatklinik Wyss Münchenbuchsee an, in welche er vermittelt wird. «Was mir gut getan hat in der Klinik, waren regelmässige ausgewogene Mahlzeiten und der Austausch mit Menschen, welche eine ähnliche Erfahrung gemacht haben wie ich. Auch das Gitarrespielen, regelmässige Gottesdienstbesuche sowie Körper- und Kunsttherapien haben geholfen. Es war wie in einer Art Wellnesshotel oder auf einem Kreuzfahrtschiff, wo die Leute immer wieder kommen und gehen.»
In der Klinik wird ihm zudem HIV diagnostiziert. Nach der Diagnose begibt sich Mättu in einen Aktivierungs-Modus, er handelt sofort und meldet sich unter anderem bei der Aidshilfe Bern, wo ihm wenig später ein Peer an die Seite gestellt wird. Die Infektiologie des Inselspitals deckt währenddessen die medizinischen Bedürfnisse ab.
Im Umgang mit dem Ganzen hilft Mättu ein Bild. Nämlich, dass die Diagnose wie ein Gast ist, welche an seine Wohnungstür klopft und er selber entscheidet, ob er die Person hereinbittet oder sie wegschickt. Wenn er sie wegschickt kommt sie am nächsten Tag mit gepackten Koffern wieder. Die Person kann später im eigenen Lebenshaus verschiedene Rollen einnehmen. «Ich bin nun beim Status, dass die Diagnose ein Mixer in meinem Lebenshaus ist, welchen ich einmal am Tag in die Hand nehme.»
Ein ziemlich normales Leben
Seit rund einem Jahr ist Mättu mit einem Partner zusammen, welcher auf seiner Augenhöhe ist. Zudem treibt er viel Sport und hat die Musik wieder neu für sich entdeckt.
Wegen HIV werde ich eigentlich nie stigmatisiert.
Verstanden wird er von den Leuten schon. «Was genau in einer Psychiatrie passiert oder was es mit einem macht wenn man eineinhalb Jahre harte Drogen konsumiert, dass denke ich, ist in der Gesellschaft noch nicht wirklich angekommen», meint Mättu. Wegen dem HIV Wird er eigentlich nie stigmatisiert. «Das kann jedoch auch daran liegen, dass die meisten Menschen in meinem Umfeld darauf sensibilisiert sind.»