Zum Inhalt springen

Armut in der Mongolei Eine Schweizerin hilft Kindern in Ulan Bator

Armut, Alkohol und Gewalt, das erleben die meisten Kinder im Elendsquartier der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator. Die Schweizerin Christine Jäggi kämpft dagegen an.

Wer das urbane Zentrum von Ulan Bator verlässt, entdeckt zahllose Jurten und einfache Holzhäuser, die sich ringartig um die Stadt legen. Der Traum vom besseren Leben hat immer wieder Nomaden vom Land hierher gezogen. Viele von ihnen verloren ihre Tiere an den Zud, an aussergewöhnlich harte Winter, in denen Herdentiere erfrieren oder verhungern.

Slumartige Gebilde

In der Stadt angekommen, stellen die Nomaden das traditionelle Filzzelt, die Jurte auf und versuchen, einen Job zu ergattern, oft ohne Erfolg. Über eine halbe Million Menschen leben in diesen Jurtenvierteln, slumartige Gebilde ohne fliessendes Wasser. Die Notdurft wird in Sickergruben verrichtet.

In den klirrenden Wintern, in denen das Thermometer auf bis zu minus 35 Grad fällt, halten sich die Bewohner warm, indem sie alles Brennbare verwerten: Autopneus, Holz oder Kohle. Mit der Folge, dass von Oktober bis Mai eine Feinstaubglocke über der Stadt liegt, die einem den Atem nimmt. Im Vergleich zu Ulan Bator wurde Peking schon als Luftkurort bezeichnet.

In den Jurtenvierteln wohnen die Ärmsten, sie leben vom staatlichen Kindergeld, das sind etwas mehr als 8 Franken im Monat. Ein Brot kostet in Ulan Bator 1 Franken 50. Viele Eltern ertränken ihre Probleme mit Wodka oder Archi, dem einheimischen Milchschnaps. Deren Kinder bekommen die Folgen nicht selten in Form von häuslicher Gewalt oder Missbrauch zu spüren.

Im Speisesaal von Bayasgalant
Legende: Warme Mahlzeiten Im Speisesaal von Bayasgalant SRF

Besseres Leben für die Jurtenkinder

Die Bernerin Christine Jäggi, die als Reiseleiterin die Mongolei 2003 kennengelernt hat, wollte diese Abwärtsspirale nicht hinnehmen. Sie gründete einen Verein und engagiert sich seitdem für ein besseres Leben der Jurtenkinder.

Heute ist die Kindertagesstätte Bayasgalant für 175 Kinder zu einem zweiten Zuhause geworden. Hier bekommen sie drei Mahlzeiten am Tag, saubere Kleidung, Betreuung und Bildung, hier dürfen sie aber vor allem Kind sein und spielen.

Per Skype immer in Kontakt

Die 56-jährige Jäggi, selbst Mutter zweier erwachsener Kinder, kennt die Geschichten der Kleinen und Grossen. Mehrmals wöchentlich skypt sie mit der mongolischen Projektleiterin Zayanyam Okhinoo, die alles fest im Griff hat. Dann sprechen sie über Kinder, die zu Hause keinen Schutz kennen, sondern vom betrunkenen Vater angegriffen werden.

Sie freuen sich aber auch über Battur, einen 18-jährigen Zögling von Bayasgalant, dessen Eltern alkoholabhängig sind. Er hat als Jahrgangbester abgeschlossen und will nun studieren.

Christine Jäggi reist einmal im Jahr in die Mongolei, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Ihre Emotionen gehen hoch, wenn sie sieht, wie Kinder, denen das Leben kaum eine Chance gibt, Fortschritte machen und selbstbewusst werden. Das bestärkt sie in ihrem Engagement.

Ein Kindergarten für Kleinsten

Freude hat Jäggi auch an den Kleinsten. Denn seit zweieinhalb Jahren gehört zur Tagesstätte auch ein Kindergarten. Die Familie hat in der Mongolei einen hohen Stellenwert, Kinder gelten noch immer als Altersvorsorge.

Es ist üblich, dass die älteren Geschwister zu den Jüngeren schauen und viel Verantwortung übernehmen müssen. Mit dem Kindergarten werden die älteren Kinder, die auf die jüngeren Geschwister aufpassen müssen, entlastet.

Dieses Jahr hat Christine Jäggi eine besondere Überraschung für «ihre Kinder» geplant. Eine Reise in die mongolische Steppe. Denn viele haben die Stadt noch nie verlassen und kennen das weite Land, das vierzigmal so gross ist wie die Schweiz, nur vom Hörensagen.

Mädchen in einem Bus
Legende: Raus aus dem Jurtenviertel Ausflug in die Steppe SRF

Ulan Bator – Boomtown und Moloch

Wer im Zentrum der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator steht, staunt. Der Dschingis-Khan-Platz mit der Statue des glorreichen Vorfahren ist monumental – bis heute berufen sich viele Mongolen mit Stolz auf ihn. Es gehört zum fixen Programm einer Hochzeitsgesellschaft, davor zu posieren.

Auf Dschingis Khan beruft sich auch der im Sommer neugewählte demokratische Präsident Khaltmaa Batulgaa. Der ehemalige Kampfsport-Weltmeister und Populist hat sein Vermögen mit Immobilien gemacht. Glaspaläste von internationalen Hotelketten prägen denn auch das moderne und urbane Bild der Innenstadt.

Eine Hochzeitsgesellschaft auf dem Dschingis-Khan-Platz
Legende: Boomtown Eine Hochzeitsgesellschaft auf dem Dschingis-Khan-Platz SRF

Präsident Batulgaa hat weitreichende Befugnisse, er besitzt ein Initiativrecht und Gesetztesentwürfe kann er per Vetorecht stoppen. Im Parlament dagegen hat wieder die Mongolische Volkspartei das Sagen. Bis 1990 hatte sie im damals sozialistischen Staat die alleinige Macht.

Einst der Star unter den Schwellenländern

Eigentlich könnten alle Menschen in der Mongolei Millionäre sein. Denn das Land sitzt auf gigantischen Rohstoffschätzen. Kupfer, Gold, Kohle und wertvolle Kieselerden. Deren Wert wird auf 2 Billionen Dollar geschätzt.

Tatsächlich galt deswegen die Mongolei eine Zeitlang als Star unter den Schwellenländern. 2011 wuchs die Wirtschaft um gigantische 17,5 Prozent. Aber der Einbruch der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt traf die Mongolei hart.

Mit dem Fernbleiben der Investoren hat das Land weder die Technologie noch das Geld, um Rohstoffe abzubauen. Nun rächt es sich, dass das Land während der Boomjahre versäumte, in Infrastruktur und Bildung zu investieren und seine Wirtschaft zu diversifizieren. Mit einem Notkredit musste der IWF das Land vor der Staatspleite retten.

Von Korruption befreien

Präsident Khaltmaa Batulgaa verkündete denn auch als erstes, dass er das Land von der Abhängigkeit Chinas befreien wolle und die allgegenwärtige Korruption bekämpfen wolle, die internationale Investoren zurückhält.

Auch Christine Jäggi, die Geschäftsführerin des schweizerisch-mongolischen Vereins Bayasgalant hatte bei ihrem ersten Projekt, einem Kinderheim, ebenfalls mit Korruption zu tun.

Ein Vorzeigeprojekt der Stadt ist jetzt Maidar City, eine Öko-Musterstadt ausserhalb der Stadt. Dereinst sollen bis zu 300'000 Menschen dort leben. Auch der Regierungssitz soll dorthin verlegt werden.

Für die Ärmsten in den Jurtenvierteln löst das keine Probleme.

Meistgelesene Artikel