Iman und ihre jüngere Schwester Fatime sitzen im Zelt ihrer Eltern. Den beiden Schwestern hat das noch junge Leben schon arg mitgespielt. Fatime hat eine kleine Tochter – doch der Krieg hat die 16-Jährige bereits zur Witwe gemacht.
Ihre ältere Schwester Iman ist 18 Jahre alt, hat drei Kinder – und will sich scheiden lassen, weil ihr Mann sie verprügelt hat. «Ich bin davongelaufen. Er hat mich dauernd geschlagen. Es war die reinste Hölle. Meine drei Kinder musste ich zurücklassen!» So geht es vielen hier: Je jünger eine Frau verheiratet wird, desto eher wird sie Opfer häuslicher Gewalt, sagt die UNO.
2016 – Das schlimmste Jahr für Syriens Kinder
Gemäss dem UNO-Kinderhilfswerk Unicef war 2016 das bisher schlimmste Jahr für die Kinder in diesem syrischen Bürgerkrieg. So viele Kinder wie nie zuvor seien 2016 getötet worden, so viele Kinder wie nie zuvor verletzt oder misshandelt, so viele Kinder wie nie zuvor als Kindersoldaten an die Front geschickt.
Wie viele Kinder in der Not des Krieges verheiratet wurden, weiss Unicef nicht. Aber die UNO schätzt, dass in den Flüchtlingslagern des Libanon oder auch Jordaniens jede zweite syrische Braut noch ein Kind ist. Zwar existierte die Kinderheirat schon im Vorkriegs-Syrien. Doch seit Kriegsbeginn hat sich die Zahl der verheirateten Mädchen verdreifacht.
«Das Wichtigste ist, dass eine Frau einen Mann hat»
Iman sagt es ohne Emotionen: «Niemand sucht in dieser Situation nach Liebe. Es ist Krieg! Das Wichtigste ist, dass eine Frau einen Mann hat und somit geschützt ist. Denn ihre Brüder, die sie sonst beschützen würden, müssen vielleicht fliehen, oder sie werden getötet. Und dann wäre die Frau alleine!» Dass dieses Argument nach westlicher Logik nicht ganz Sinn macht, ist egal. Sehr viele Menschen hier denken genau so.
Ein anderer Grund ist das Geld. 200 US-Dollar Miete bezahlt Imans Familie jeden Monat für ihr heruntergekommenes Etwas, das man nicht wirklich Zelt nennen kann. Arbeit gibt es keine, die Ersparnisse der Flüchtlinge sind längst aufgebraucht. Eine syrische Braut bringt etwa 2000 Dollar ein. Für manch eine Familie ist die Rechnung schnell gemacht.
«Geh’, im Libanon ist es sicherer für dich»
Auch Suad ist noch ein Kind, als sie in den Libanon verheiratet wird. Suad ist 15 und stammt aus Deir Ezzor, jener umkämpften Stadt im Osten Syriens, die seit Jahren vom IS belagert wird. «Als sie kamen, um um meine Hand anzuhalten, sagte meine Mutter: Geh’, im Libanon ist es sicherer für dich. Hier haben wir die Bomber von Assad in der Luft und den IS am Boden.» Suads Mann heisst Nader und kommt ebenfalls aus der Nähe von Deir Ezzor. Zuhause ist er nie. Er arbeite oben in den Bergen, sagen sie. Zu Gesicht bekommen wir ihn nicht. Er darf nicht einmal wissen, dass wir Suad filmen.
Die Hochzeit eingefädelt hatte die Tante von Nader. Der 22-jährige Nader lebt bei ihr im Libanon, aber er war unruhig. «Es war schwierig mit ihm», erzählt die Tante. «Also rief ich Naders Vater, meinen Bruder, in Syrien an und sagte ihm: Du musst eine Frau für Deinen Sohn finden, sonst reist er zurück in den Krieg! Finde ihm ein Mädchen, egal ob klein oder dick oder jung, finde ein Mädchen für deinen Sohn, oder du verlierst ihn!» Der Vater von Nader fand eine Frau für seinen Sohn: die 15-jährige Suad.
«Ich wünschte, wir hätten sie nicht hergebracht»
Also machte sich Suad auf den Weg in den Libanon. Zu einem Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte. Und der sie nie zuvor gesehen hatte. «Das erste Mal, dass Nader Suad sah, war hier. Er wusste nicht einmal ihren Namen. Ich fragte ihn: Wie heisst sie? Er sagte: Keine Ahnung...»
Die Tante von Nader hadert mit dem Schicksal. «Leider ist Nader überhaupt nicht glücklicher geworden durch die Heirat. Er war zwar einverstanden und er hat seinen Vater ja ebenfalls gebeten, ihm eine Braut zu schicken – aber es machte ihn nicht zufriedener! Er ist genauso deprimiert wie zuvor.»
Doch Suad ist inzwischen schwanger, im vierten Monat schon. Sie und Nader, der nie zuhause ist, leben im Haus von Naders Tante. Weil sie sich selbst keine eigene Wohnung leisten können. «Ich wünschte, wir hätten sie nicht hierher gebracht! Ihr Leben ist vorbei, genauso wie meines! Ich hatte ja schon genug Sorgen zuvor, aber jetzt habe ich noch sie am Hals!» Am Ende bleibt Suad und Nader nur ein Wunsch: «Wir hoffen, dass unser Kind einmal ein besseres Leben hat als wir. Und vor allem hoffen wir, dass es einmal zurückkehren kann in seine Heimat: nach Syrien.»