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Burnout wegen Diabetes Wenn die Zuckerkrankheit das Leben bestimmt

Das Leben mit Diabetes ist anstrengend und erfordert viel Kraft – insbesondere mental. Wenn alles zu viel wird, kann das sogar zu einem Diabetes-Burnout führen. Betroffene kümmern sich dann nicht mehr ausreichend um ihre Blutzuckerwerte – mit fatalen Folgen.

Diabetes erfordert unaufhörlich Aufmerksamkeit. Betroffene müssen ihren Körper ständig beobachten und kontrollieren.

Pausen liegen nicht drin, sonst wird es sehr schnell gefährlich. Da der Körper die Blutzuckerwerte nicht mehr selbst regulieren kann, gehören Insulinpumpen, Blutzuckersensoren und Krankenhausbesuche zum Leben eines Typ-1-Diabetikers.  

Was ist der Unterschied zwischen Diabetes Typ 1 und Typ 2? 

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In der Schweiz leben laut «Diabetes Schweiz» rund 500’000 Personen mit Diabetes, davon 40’000 mit Diabetes Typ 1. 

Typ 1 tritt insbesondere im Kindes- und Jugendalter auf, kann aber auch später im Erwachsenenalter eintreten. Früher wurde Diabetes Typ 1 auch als jugendlicher oder juveniler Diabetes bezeichnet.

Leute mit Diabetes Typ 1 produzieren in der Bauchspeicheldrüse kein körpereigenes Insulin mehr. Deswegen müssen sie sich dieses selbst zuführen, mit der Spritze oder einer Insulinpumpe.

Diabetes Typ 2 ist mit über 90 Prozent die häufigste Diabetesform. Früher wurde sie als Altersdiabetes bezeichnet, weil vorwiegend ältere Menschen betroffen waren.

Heute gehören immer mehr auch jüngere Menschen dazu, weil die Risikofaktoren Übergewicht und Bewegungsmangel immer mehr schon in jungen Jahren auftauchen.

Diabetiker Typ 2 produzieren nur noch sehr wenig körpereigenes Insulin und müssen ihre Bauchspeicheldrüse durch eine Ernährungsumstellung entlasten.

Das akribische Diabetesmanagement kann überfordern und die ständige Kontrolle kann so ermüden, dass Betroffene in ein Burnout stürzen. Dieses Gefühl kennt auch die 22-jährige Sara Baumann: «Diabetes ist das Schrecklichste, was in meinem Leben passiert ist.»

Diabetes als zusätzlicher Stress 

Vor jeder Mahlzeit müssen Typ-1-Diabetiker ihre Kohlenhydrate abschätzen und in Insulineinheiten umrechnen. Danach muss die entsprechende Menge Insulin durch eine Spritze oder Pumpe verabreicht werden. Genaue Nährwertangaben sind für Diabetesbetroffene das A und O.

Ich bin nicht frei in meinem Körper.
Autor: Sara Baumann Kaufmännische Angestellte

Diese Prozedur vor jeder Mahlzeit ist für Sara Baumann ein täglicher Kampf. Das ständige Messen des Blutzuckers und das Tragen der Insulinpumpe an ihrem Körper nerven sie: «Ich bin nicht frei in meinem Körper.» Sie war schon so verzweifelt, dass sie Suizidgedanken hatte.

Oft ignoriert die kaufmännische Angestellte ihre Krankheit und misst ihren Blutzucker kaum noch. Dies kann zu schwerwiegenden Konsequenzen führen.

Fatale Folgen bei schlechten Werten 

Langfristig hohe Blutzuckerwerte schädigen die Gefässe, Nieren und Nerven. Sie können zum Verlust des Augenlichts oder zu Nierenversagen führen.

Was ist der Unterschied zwischen einer Unter- und Überzuckerung? 

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Leichte Schwankungen des Blutzuckerspiegels sind völlig normal und kommen auch bei Gesunden täglich vor.

Bei ihnen liegt der Blutzuckerspiegel, abhängig von der Nahrungsaufnahme, zwischen etwa 60 und 140 Milligramm Zucker pro Deziliter Blut (mg/dl). Dies entspricht 3.3 bis 7.8 mmol/l. Die Masseinheit Millimol pro Liter (mmol/l) ist die gebräuchliche Einheit zur Blutzuckermessung. Sie gibt die Menge eines Stoffes als Teilchen pro Liter an.

Bei einer Überzuckerung (Hyperglykämie) liegt der Wert über 7.8 mmol/l (140 mg/dl). Der Grund ist meist, dass Insulin fehlt oder nicht ausreichend wirkt.

Ohne Insulin können die Organe den Zucker im Blut nicht verwerten, er sammelt sich an. Bei einem unbehandelten Typ-1-Diabetes können Blutzuckerwerte auf über 27.8 mmol/l (500 mg/dl) ansteigen.

Bei einer Unterzuckerung (Hypoglykämie) liegt der Blutzuckerspiegel unter 3.3 mmol/l (60 mg/dl).

Hohe Blutzuckerwerte beeinträchtigen auch die Durchblutung – im schlimmsten Fall kann dies dazu führen, dass die Füsse amputiert werden müssen. Zudem steigt bei einer schlechten Einstellung der Blutzuckerwerte das Risiko für einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall.  

Moderne Techniken wie Insulinpumpen und Blutzuckersensoren unterstützen Diabetiker. Doch der Umgang mit diesen Geräten ist für Betroffene oft sehr herausfordernd und kann zu psychischen Problemen führen.

Was sind Anzeichen einer Unter- und Überzuckerung?

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Anzeichen für einen sehr hohen Blutzucker bei Typ-1-Diabetes können sein:

  • extremer Durst, grosse Trinkmengen und dadurch ausgelöst häufiges Wasserlassen 
  • ausgeprägte ungewollte Gewichtsabnahme innerhalb weniger Wochen 
  • auffälliger Leistungsabfall mit Muskelschwäche, Müdigkeit und stark beeinträchtigtem Allgemeinbefinden 
  • Übelkeit und Bauchschmerzen 
  • Sehstörungen 
  • Konzentrationsstörungen 
  • gehäufte Infektionen (Harnwegsinfektionen, Pilzerkrankungen) 

Ist der Blutzuckerspiegel sehr stark erhöht, kann es auch zu Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit (diabetisches Koma) kommen.

Zu einer Unterzuckerung kann es vor allem bei Menschen kommen, die sich mit Insulin oder bestimmten blutzuckersenkenden Tabletten behandeln.

So können zum Beispiel unerwartete körperliche Anstrengung, eine zu kleine Mahlzeit oder zu viel Alkohol dazu führen, dass die gespritzte Insulinmenge zu hoch ist und der Blutzucker deshalb zu stark absinkt.

Folgende Anzeichen können auf eine Unterzuckerung hindeuten:

  • schneller Puls 
  • kalter Schweiss 
  • blasse Gesichtsfarbe 
  • Kopfschmerzen 
  • Heisshunger 
  • Zittern, weiche Knie 
  • Unruhe und Nervosität, Angstgefühle 
  • Konzentrationsstörungen bis zu Verwirrtheit 

Eine leichte Unterzuckerung hat in der Regel keine schädlichen Folgen. Eine starke Unterzuckerung kann jedoch zu Bewusstlosigkeit führen und lebensgefährlich sein.

Sara Baumann trägt zwar eine Insulinpumpe, misst ihren Blutzucker jedoch immer noch mit einem veralteten Blutzuckermessgerät am Finger. Technische Innovationen sind für die 22-Jährige keine Lösung. Sie glaubt an Selbstheilung.

Selbstheilung – keine Option 

Typ-1-Diabetes gilt als unheilbar. Trotzdem will Sara Baumann durch ihre Gefühle und ihre Einstellung ihre Blutzuckerwerte stabilisieren. Ihr Ziel ist es, dass der Körper wieder selbst Insulin produziert.

Es wäre natürlich toll, wenn man sagen könnte, dass wir in fünf oder zehn Jahren medizinisch so weit sind, dass die Krankheit geheilt ist.
Autor: Stefan Fischli Chefarzt Endokrinologie/Diabetologie im LKS 

Davon lässt sie sich auch von ihrem Diabetologen Stefan Fischli nicht abbringen. Für ihn ist klar: Aktuell kann man Diabetes Typ 1 nicht durch Gefühle beeinflussen: «Es wäre natürlich toll, wenn man sagen könnte, dass wir in fünf oder zehn Jahren medizinisch so weit sind, dass die Krankheit geheilt ist.»

Für ihn zeigt Sara Baumann klare Anzeichen eines Diabetes-Burnouts: «Die Symptome, sich nicht mehr um den Diabetes zu kümmern, nicht mehr zu messen, weil der Diabetes ganz hinten ansteht, diese Ermüdung und dieses Ausbrennen durch die Krankheit, das war bei Frau Baumann deutlich erkennbar.»

«Diabetes-Burnout» oft unbekannt 

Viele Diabetesbetroffene sind sich nicht bewusst, dass ein «Diabetes-Burnout» existiert und dass Burnout-Symptome wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Kraftlosigkeit auch durch Unter- oder Überzuckerung verursacht werden können.

Was sind die Anzeichen eines Diabetes-Burnouts? 

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  • Sich geistig und körperlich erschöpft fühlen aufgrund der Einschränkungen, die sich aus der Behandlung ergeben 
  • Loslösung hinsichtlich der eigenen Person??, dem Behandlungs- und Hilfssystem
  • Negieren der Krankheit (?), Distanzierung vom Behandlungs – und Hilfssystem 
  • Sich hilflos und ohnmächtig fühlen, unfähig, die Erschöpfung allein zu bekämpfen
  • Erschöpfung aufgrund der Last der Selbstorganisation, fehlenden Erfolgs bei der Handhabung des Diabetes, Perfektionismus und Angst hinsichtlich Diabetes mellitus, mangelnder Hilfe, Auftretens von gewissen Ereignissen im Leben

In der Schweiz gibt es noch keine spezifische Anlaufstelle für Diabetiker im Diabetes-Burnout. Betroffene, Angehörige und Fachpersonal, die solche Veränderungen feststellen, sollten schnell reagieren.

Dann lässt sich die Kombination aus chronischer Stoffwechselerkrankung und Erschöpfungszustand gut bewältigen.

Radio SRF Virus, 14.11.2023, 08:30 Uhr

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