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Dachse und Füchse in einem Bau Kriminalistik im Wald

Tierfilmer machen mitunter spektakuläre Aufnahmen: Eine säugende Dachsmutter trägt ein totes junges Füchslein am Nacken aus dem Bau. Die Fuchsmutter eilt total gestresst hinterher. Was war passiert?

Tierfilmer Jost Schneider traute seinen Augen kaum, als er seine Video-Aufnahmen zuhause auf dem PC betrachtete, die er einer seiner automatischen, unbemannten Wildtierkameras im Wald entnommen hatte.

Diese Kameras zeichnen unbemerkt das Verhalten von Tieren auf: Da kommt eine Dachsmutter aus dem Eingang zu einem ausgedehnten Bau unter dem Boden, den sowohl ihr Clan als auch eine Fuchsfamilie gemeinsam bewohnen.

Im Maul trägt sie ein totes Füchslein, im Hintergrund rennt aufgeregt die Fuchsmutter hin und her – und es stellt sich sofort die Frage: War das Dachsweibchen in den Bau der Füchse eingedrungen und hatte den jungen Fuchs getötet?

Stinkende Füchse

Dass sich Fuchsfamilien in einem ausgedehnten Bau einquartieren, den Dachsfamilien während Jahren oder Jahrzehnten ausgegraben hatten, kommt häufig vor. Den Füchsen kommt ein sicherer, tiefer Bau ohne Zweifel gelegen.

Den Dachsen jedoch ist diese Nachbarschaft der Füchse häufig sichtbar unangenehm, denn sie meiden Familie Reinecke und verjagen oft neugierige Jungfüchse mit gesträubtem Fell. Im Gegensatz zu den reinlichen Dachsen nämlich schleppen die Füchse tote Mäuse, Teile von Rehkitzen, Hasen oder erbeutete Hühner zum Bau und füttern so ihre Jungen.

Stinkende Reste liegen überall herum und ziehen Fliegen an. Auch strotzen Füchse oft vor Flöhen und anderen Fellparasiten. Dachse dagegen pflegen andauernd ihr Fell, allein oder gegenseitig in Gruppen: Diese Fellpflege artet oft in eine eigentliche soziale Session aus, an der viele Tiere des Dachs-Clans teilnehmen, die sich gegenseitig mit den Zähnen das Fell akribisch durchkämmen. Da haben es Flöhe, Haarlinge und Zecken schwer.

Wo sich Füchse wirklich breitmachen, ziehen denn auch oft die Dachse aus und für Spannung zwischen den ungleichen Charakteren ist allemal gesorgt. Aber führt es wirklich soweit, dass die Dachse junge Füchse töten?

Kindsmord – oder doch nicht?

Neben dem kaltblütigen Kindsmord bei der Nachbarin sind auch andere Varianten des Dramas denkbar: Traf das Dachsweibchen den Jungfuchs bereits tot im Bau an und entsorgte ihn nur? Oder hatte sich der Jungfuchs in den dunklen Gängen des Baus zu sehr den jungen Dachsen genähert, so dass die Dachsmutter den Störenfried zum Schutz ihrer Jungen tötete und entfernte?

Schleppte sie den jungen Fuchs aus dem Bau, um ihn irgendwo draussen zu fressen oder um ihn einfach zu entsorgen? Spielte eine Rolle, dass draussen Schnee lag und der Boden gefroren war, so dass die Dachse keinen Zugang zu ihrer Hauptnahrung, den Regenwürmern hatten und sich deshalb die Dachsmutter im Hungerstress am Füchslein vergriffen hatte?

«Belastend» für das Dachsweibchen kommt dazu, dass es vorher auffällig vorsichtig die ganze Umgebung des Baus erkundet hatte, nervös gefolgt von der Fuchsmutter mit Gesäuge – und beobachtet von der Kamera.

All das, was wir im Video in Schwarzweiss sehen, spielte sich in völliger Dunkelheit ab – nur erfasst von der automatischen Wildtierkamera im Nachtmodus mit Infrarot.

Die kurze, atemberaubende Video-Sequenz lässt denn auch keine abschliessende Beurteilung zu, was sich im gemeinsamen Bau von Füchsen und Dachsen unter dem Boden abgespielt hatte. Doch sie liefert ein weiteres Puzzleteil, das im Moment für sich alleinsteht und rätselhaft bleibt.

Doch vielleicht liefern geduldig erarbeitete, weitere Szenen von Wildtierkameras und direkte Beobachtungen und Indizien passende, zusätzliche Elemente, um unsere heimlichen und mitunter unheimlichen Wildtiere immer besser zu verstehen.

Andreas Moser

Biologe

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Andreas Moser ist Redaktionsleiter und Moderator der Sendung «NETZ NATUR»

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