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SRF DOK Die besondere Tragik der Immenseer Entwicklungshilfe

Sie waren wagemutige Abenteurer, christliche Haudegen, die die Enge der Zentralschweiz verliessen, um in der so genannten «Dritten Welt» Gutes zu tun. Dokfilmer Beat Bieri erinnert sich, wie er als Kind die Missionare von Immensee bewunderte. Was ist aus Ihnen und Ihrem Werk geworden?

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Beat Bieri geht in seinen Filmen aktuellen, gesellschaftspolitischen Fragen nach. Der Dokumentarfilmer porträtiert Schweizer Identität in allen Facetten.

Es waren die Immenseer Missionare, die mir damals, in meiner Kindheit, das Fenster zur Welt geöffnet hatten. Noch bevor das Fernsehen richtig verbreitet war und noch bevor die Zeitungen grosszügig Fotos druckten, boten die Missionare in ihrem Heft «Bethlehem», verteilt in Schule und Kirche, die ersten Bilder einer fremden, exotischen Welt, jener Welt, die man später «Dritte Welt» nannte.

Missionare und Abenteurer

Es war Anfang der sechziger Jahre und die weissen Männer, meist mitten in einer Schar dunkelhäutiger Menschen abgebildet, erschienen mir weniger als fromme Gottesdiener, denn als wagemutige Abenteurer – ein verführerisches Berufsbild gerade in einer Zeit, die in der katholisch-konservativen Zentralschweiz geprägt war von Spiesser- und Anpassertum, von Verboten und Bigotterie. Und so träumte ich gelegentlich auch davon, mich als Missionar in dieses Abenteuer fernab der schweizerischen Konformität zu stürzen (bevor ich beschloss, Pilot zu werden, was dann wegen einer angeborenen Farbschwäche der Augen auch nicht klappte). Auf dem Ladentisch in der Bäckerei meiner Eltern stand ein «Negerkässeli»: Ein kniendes Afrikanerkind nickte, wenn ein spendabler Kunde ein Geldstück in den Schlitz warf. Das Geld ging zu den Immenseer Missionaren – und so stellte ich mir einige Jahrzehnte später die Frage: Was ist aus den Missionaren geworden?

Video
«Ist Afrika ein gescheiterter Kontinent?»
Aus DOK vom 22.12.2016.
abspielen. Laufzeit 57 Sekunden.

Eine reiche, eine bewegte, eine problematische Vergangenheit

Mein Dokfilm liefert hierzu einige Antworten. Ich habe in den letzten eineinhalb Jahren eine Reihe betagter Missionare getroffen, Patres und Brüder, in Afrika und in der Schweiz, und oft fühlte ich mich dabei in einem journalistischen Schlaraffenland: Denn der Journalist und Dokfilmer lebt ja von den Geschichten anderer Menschen. Die Missionare haben wohl keine grosse Zukunft mehr. Doch sie haben eine reiche, bewegte, gewiss auch problematische Vergangenheit, eine Überfülle an Geschichten und Geschichte, oft verbunden mit welthistorischen Verwerfungen.

Die Erzählungen der alten Männer transportieren nicht einfach nur Anekdoten. In ihrem Wirken, das so gänzlich unmodern erscheint, verspottet von Zynikern als «Gutmenschentum», kommt meiner Ansicht nach eine grosse menschliche Qualität zum Ausdruck: «Mich haben diese unermüdlichen alten Kämpfer in ihrem Einsatz für Hoffnungslose berührt, in ihrer täglich gelebten Mitmenschlichkeit», hat mir ein Freund geschrieben, nachdem er den Film gesehen hat.

«DOK» am Donnerstag

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«Das Ende der Mission – Ein Stück Schweizer Weltgeschichte», Donnerstag, 22.12.2016, 20:05 Uhr, SRF1.

Missionare, besonders in kolonialen Zeiten, waren vorab Seelenfänger, Apologeten auch einer westlichen Zivilisation. Von diesem Bild haben sich die Immenseer schon vor Jahrzehnten entfernt: Zivil gekleidet, meist fortschrittlich, liberal, wenig beeindruckt von der römischen Hierarchie, machten sie sich oft einen eigenen Reim auf die schwierigen Verhältnisse, die sie in den Ländern des Südens antrafen. Und sie schufen Werke in einem unglaublichen Umfang: Spitäler, Werkstätten, 270 Schulen alleine in Simbabwe, wo Priester Sebi Stocker überdies 50 Staudämme errichtete. Dass viele dieser, wie mir scheint, sinnvollen Werke heute zerfallen, ist eine besondere Tragik der Immenseer Geschichte.

Video
«Man kann es wirklich schaffen in Afrika.»
Aus DOK vom 22.12.2016.
abspielen. Laufzeit 36 Sekunden.

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