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«Es ging bei dem Shitstorm darum, mich als Person zu zerstören.»
Aus DOK vom 25.05.2016.
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SRF DOK Die Opfer sind ohnmächtig, denn die Angreifer bleiben oft anonym

«Wenn einer Frau auf Facebook von einer männlichen Meute gedroht wird: 'Wir kriegen dich, und wir wissen, wo du wohnst', dann ist das nicht mehr lustig», sagt Filmautorin Daniela Agostini. Ihr Dokfilm zeigt, welch zerstörerische Dynamik digitale Hetzkampagnen haben, und wie sie überhaupt entstehen.

Zur Person

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Daniela Agostini wuchs in Bozen, Südtirol, zweisprachig auf. Sie studierte in Innsbruck und München Ethnologie, Politische Wissenschaften und Sozialpsychologie. Während des Studiums arbeitete sie bei Verlagen, Zeitungen, Zeitschriften und TV-Filmproduktionen. Nach Abschluss des Studiums 1998 etablierte sie sich als Dokfilmautorin.

SRF DOK: Wie haben Sie es mit dem Wort «Shitstorm»? Ich habe immer etwas Mühe damit. Ein unschönes Wort – aber angebracht?

Daniela Agostoni: Mittlerweile ist dieses Wort im Deutschen sehr gebräuchlich, so dass kaum noch jemand darüber nachdenkt, was es eigentlich wortwörtlich heisst und woher es kommt. Aber im Grunde ist es eine falsche Übersetzung aus dem Englischen, eine eingedeutschte Variante von «Digital Firestorm». Das klingt schon etwas eleganter. Ein Feuersturm hat dieselbe metaphorische Kraft, er tobt durch die Wälder, explosionsartig, aber hat natürlich nicht diese extrem negative und abfällige Konnotation des Shitstorms.

Es gibt nämlich auch Erregungskampagnen, die nicht nur negativ sind. Ich bin deshalb etwas zurückhaltend mit dem Begriff Shitstorm, aber der Begriff hat sich schon sehr eingebürgert. Und es ist schon so, dass negative Kampagnen im Netz gegen einen Menschen oder gegen Unternehmen wirklich entsetzlich sein können. Immer wieder hören wir von Online-Treibjagden mit Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Da kann man schon von den «dunklen Seiten des Netzes» sprechen.

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Aus DOK vom 25.05.2016.

Hunderte von bösen E-Mails und Anrufen

Haben Sie selbst auch schon Erfahrungen mit einem Shitstorm gemacht?

Ja leider. Glücklicherweise war es nur ein «Stürmchen», das ganz schnell auch wieder vorbei war. Für ein Filmprojekt über die Mensch-Hund-Beziehung wollten wir mit einem bekannten Hundetrainer zusammenarbeiten. Wir wussten zwar, dass diese Person vor mehreren Jahren schon mal im Visier einer Online-Kampagne war, dachten uns aber nichts dabei. Aber schon 24 Stunden nach Erscheinen des Namens und Projekts auf einer Onlineseite wurden meine Produzenten und ich mit Hunderten von bösen E-Mails, Anrufen, Online-Petitionen und Beschimpfungen auf «Tierschützer»-Websites bombardiert. Weil wir angeblich mit einem Gewalttäter zusammen arbeiten würden. Es war erschreckend, auch wie sehr uns diese plötzliche Hetzkampagne belastete und zeitlich völlig vereinnahmte.

Aber es hat mich auf die Idee gebracht, einen Film darüber zu machen, denn ich hatte sofort begonnen, Recherchen über dieses Phänomen zu machen. Ein Phänomen, das zwar jeder kennt, aber so genau weiss man dann halt doch nicht Bescheid.

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Aus DOK vom 25.05.2016.

Shitstorms sind erst mit den sozialen Medien möglich?

Ja, solche digitalen Negativkampagnen gibt es erst, seit es die sozialen Netzwerke gibt, die Millionen Menschen miteinander verbinden.

Seither machen wir unsere eigenen Posts, Nachrichten, Meinungen, Filme, Fotos, die wir öffentlich verbreiten können. Das macht es auf der einen Seite sehr schnell, unübersichtlich und unkontrollierbar, auf der anderen Seite aber auch sehr demokratisch.

Die Zeitungen und Fernsehsender haben ihre Machtposition als alleinige Meinungsverbreiter verloren. Aber weil wir in letzter Zeit eine Art Skandalisierungstendenz in der öffentlichen Debatte beobachten, können auch schon nichtige Anlässe Ziel von Shitstorms werden und zwar sehr schnell, explosionsartig.

Ein Ereignis wird im Netz kommentiert, meist von wenigen Menschen. Sobald andere, vor allem Online-Gruppen, das aufgreifen und weiterverbreiten, kommt es zu einer wellenartigen Verteilung im Netz. Natürlich wurden auch früher Leute gehänselt und gemobbt, es gab gezielte Rufmordkampagnen, Gerüchte, die sich im Dorf verbreiteten oder auch über Printmedien in die Öffentlichkeit gebracht wurden – aber es lief sehr viel langsamer und war meist örtlich und zeitlich begrenzt.

«DOK» am Mittwoch

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Die Opfer fühlen sich ohnmächtig

Der Untertitel Ihres Films lautet «Und plötzlich hasst dich die ganze Welt». Auch wenn es nicht die ganze Welt ist, fühlt es sich für die Opfer tatsächlich so an?

Für die Opfer fühlt es sich schlimm an. Es macht sie psychisch fertig, sie haben Angst, sie fühlen sich bedroht und vor allem fühlen sie sich ohnmächtig, denn die Angreifer bleiben sehr oft anonym. Das macht es besonders schlimm, das Gefühl, nichts tun zu können. Das fühlt sich sehr real an. Besonders verletzend ist es, wenn das Umfeld beschwichtigend reagiert, so nach dem Motto: Das ist doch nicht so schlimm, das ist ja nur im Internet. Wenn einer Frau auf Facebook von einer männlichen Meute gedroht wird: «Wir kriegen dich und wir wissen, wo du wohnst», dann ist das nicht mehr lustig.

Das Gegenteil eines Shitstorms sind Lob und Wertschätzung. Könnte das ein Gegengewicht sein, dass wir öffentlich mehr loben und wertschätzen? Oder ist das naiv?

Na ja, naiv würde ich nicht sagen. Es gibt Versuche im Netz, eine Art Positiv-Kultur zu etablieren. Es gibt mutige Blogger, die sich gegen Hass-Postings wenden, es gibt viele Journalisten, die die Themen aufgreifen. Noch aber haben die vielen negativen Kommentare und die extrem verletzenden und rassistischen Äusserungen die Überhand. Und darauf, dass Facebook gegen die Verbreitung von Hass-Postings jeglicher Art effektiv vorgeht, können wir noch lange warten. Andererseits möchte keiner von uns das Internet und die sozialen Netzwerke missen, ganz im Gegenteil. Und auch eine strenge Regulierung des Internets entspricht nicht dem demokratischen Grundgedanken.

Die Fragen stellte Christa Ulli.

Was tun, wenn man in einen Shitstorm gerät?

Kommunikationsexperte Roger Huber rät, bei einem Shitstorm Ruhe zu bewahren und nie emotional und spontan zu reagieren. Unternehmen, Behörden und privaten Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, empfiehlt er folgendes Vorgehen:

  • Ein Shitstorm entwickelt sich schnell, innert Stunden. Wer keine geübte Kommunikationsabteilung hat, braucht externe Beratung und juristischen Beistand.
  • Keine negativen Statements löschen – es sei denn, sie enthalten Verleumdungen oder Rechtsverstösse. Gelöschte Beiträge machen viele User im Web erst richtig wütend. In einem Sturm von Entrüstung stellt sich eine immer grösser werdende Gemeinde gegen das Unternehmen oder eine Person und fahndet gemeinsam nach dem, was man womöglich noch zu verbergen hat. Wer rasch auf Vorwürfe reagiert, kann einen Shitstrom eher eindämmen.
  • Kritik ernst nehmen, danken, Verständnis zeigen, sich entschuldigen, Vorfall analysieren, umfassend informieren, ehrlich sein, sachlich und höflich bleiben, effizient reagieren, Entgegenkommen zeigen.
  • Es gibt zwei Ausnahmen: Verleumdung – sie sind ein Strafrechtsbestand – gehen Sie juristisch dagegen vor und schreiben Sie dies auch. Chronische Störenfriede, man nennt sie auch Trolle, werden ignoriert. Don’t feed the trolls (Trolle nicht füttern).
  • Geben Sie Fehler zu – aber nur Fehler – belegen Sie Ihre Aussagen mit Zahlen und Fakten. Reagieren Sie mit Bedacht. Keine Drohungen, keine Dementis und keine Androhung mit einem Anwalt. Wird auf Kritik schnell und konstruktiv reagiert, nehmen User negative Online-Bewertungen oft wieder zurück. Am besten wirkt die Entschuldigung.

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