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Droge Zucker Vier Wochen ohne Zucker – Ein Selbstversuch

Zucker macht krank und süchtig. Eine Familie wagt den Verzicht – einen Monat lang. Mit überraschendem Resultat.

«Jeder weiss, dass Zucker ungesund ist, und trotzdem sind wir nicht bereit, es zu glauben», sagt Ärztin Bettina Wölnerhanssen. Sie forscht vorwiegend zum Thema Übergewicht und Zuckeralternativen am St. Claraspital in Basel.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, dass eine erwachsene Person nicht mehr als zwölf Würfelzucker (etwa 50 Gramm) pro Tag konsumieren sollte. Herr und Frau Schweizer konsumieren im Schnitt fast die doppelte Menge. Rund 40 Prozent der Bevölkerung sind übergewichtig – schuld daran ist vor allem der übermässige Zuckerkonsum.

Die Zucker-Challenge

Familie Rechsteiner aus Döttingen (AG) will es wissen und stellt sich der Zucker-Challenge: Mutter Esther, Vater Christoph sowie ihre Kinder Raphael (14), Antonia (15) und Sibylle (18) versuchen, einen Monat lang vollständig auf Zucker zu verzichten.

«Zucker ist für mich eine Sucht und am Abend auf Guetzli zu verzichten, habe ich noch nie ausprobiert», meint Raphael mit Blick auf den vierwöchigen Zuckerverzicht. Vater Christoph hofft indes, dass sein Bauch etwas kleiner wird, während Tochter Antonia ihren Freunden beweisen möchte, dass sie als grosse Süssigkeiten-Liebhaberin so eine Challenge durchhalten kann.

«Wenn man einem Kind sagt, es dürfe keinen Alkohol trinken, wirkt das fürsorglich. Wenn man aber sagt, dass es keinen Zucker essen soll, ist man gemein» erklärt Ärztin Bettina Wölnerhanssen, welche die Familie während des Zuckerentzugs medizinisch begleitet.

Sie hat die Blutwerte der Familie im Vorfeld analysiert und festgestellt, dass bei allen die Blutfette, der Blutzucker und das Insulin erhöht sind. «Ich bin gespannt, ob sie die strengen Vorgaben durchhalten», meint Wölnerhanssen. Erlaubt sind der Familie nur die Zuckeraustauschstoffe Stevia, Erythrit oder Birkenzucker (Xylit) in kleinen Mengen.

Ärztin Bettina Wölnerhanssen unterstützt die Familie während ihres zuckerlosen Monats.
Legende: Ärztin Bettina Wölnerhanssen unterstützt die Familie während ihres zuckerlosen Monats. SRF

80 Prozent aller Lebensmittel enthalten Zucker

Auch die diplomierte Ernährungsberaterin Sophie Stirnimann unterstützt die Familie während ihrer zuckerlosen Zeit. Stirnimann hat im Vorfeld der Challenge die Essgewohnheiten der Familie analysiert und ausgerechnet, wie viel Zucker jedes Familienmitglied im Schnitt täglich konsumiert.

Obwohl sich alle als nicht extreme Zuckeresser einschätzen, kommen doch zwischen 13 und 20 Würfelzucker pro Person und Tag zusammen. Eine stolze Menge – aber weniger als der Schweizer Durchschnitt. Dieser liegt je nach Berechnung bei rund 28 Würfelzuckern – oder 110 Gramm Zucker.

Zucker, wo wir keinen vermuten

Beim gemeinsamen Einkauf stösst Esther Rechsteiner auf einige Überraschungen. 80 Prozent aller Lebensmittel enthalten zugefügten Zucker. Auch vermeintlich ungesüsste Konserven, wie zum Beispiel Essiggurken, enthalten Zucker. «Im Rahmen einer normalen Ernährung ist dies zwar kein Problem, aber für die Zucker-Challenge sind solche Produkte tabu», meint Sophie Stirnimann.

Auch das Frühstücksmüesli, das «nur» mit Reissirup gesüsst ist, muss Esther wieder zurück ins Regal stellen. Denn für Zucker gibt es auch zahlreiche andere Bezeichnungen, welche die Hersteller in den Inhaltsangaben verwenden. Dazu gehören zum Beispiel Agavendicksaft, Ahornsirup, Dextrose, Glukose oder Fruktose.

Zuckerlos einkaufen, ist eine Herausfoderung: Esther Rechsteiner zusammen mit Ernährungsberaterin Sophie Stirnimann auf Einkaufstour.
Legende: Zuckerlos einkaufen, ist eine Herausforderung: Esther Rechsteiner zusammen mit Ernährungsberaterin Sophie Stirnimann auf Einkaufstour. SRF

Was bewirkt Zucker im Körper?

Der herkömmliche, weisse Haushaltszucker wird aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr hergestellt. Er besteht aus zwei Molekülen: Traubenzucker (Glukose) und Fruchtzucker (Fruktose), die im Körper unterschiedlich verarbeitet werden. Ungesund sind beide auf ihre Art.

Entzugserscheinungen

«Zucker ist eine Droge», sagt Ärztin Bettina Wölnerhanssen. Er aktiviere im Hirn die gleichen Rezeptoren wie andere Drogen. Und wenn der Zuckernachschub ausbleibe, treten Entzugserscheinungen auf.

Egal ob chinesisch, italienisch oder taiwanesisch essen: Überall ist Zucker drin.
Autor: Christoph Rechsteiner

Diesen Entzug spürt auch Familie Rechsteiner. Heisshunger und eine ständige Lust auf Süsses bestimmen die erste Woche ohne Zucker. «Ich hatte nie das befriedigende Gefühl, satt zu sein und dachte ständig ans Essen», erzählt Tochter Sibylle.

Auch Vater Christoph Rechsteiner kämpft mit den Herausforderungen: «Auswärts Mittag zu essen war nicht möglich. Egal ob chinesisch, italienisch oder taiwanesisch: Überall ist Zucker drin».

Süssgetränke sind Zuckerbomben

Süssgetränke enthalten überdurchschnittlich viel Zucker. Vor allem Jugendlichen ist wenig bewusst, wie viel Zucker sie ihrem Körper mit Energy-Drinks, Limonade oder Eistee zuführen.

Eigentlich müssten die Hersteller in der Pflicht sein, den Zuckergehalt zu reduzieren. Weil das auf freiwilliger Basis nicht wirklich klappt, führen immer mehr Länder eine Zuckersteuer ein. In England zum Beispiel halbierte sich dadurch die Zuckermenge in Süssgetränken.

In der Schweiz gab es 2018 einen parlamentarischen Vorstoss zur Einführung einer Zuckersteuer. Er hatte aber keine Chance. Der Bundesrat setzt auf die freiwillige Zuckerreduktion der Lebensmittelhersteller und auf die Eigenverantwortung der Konsumenten.

Wenn das Joggen plötzlich leichter fällt

Nach zwei Wochen Zuckerverzicht zeigen sich die ersten Erfolgserlebnisse: «Ich fühle mit fitter und bin locker wie ein Reh unterwegs», freut sich Vater Rechsteiner beim Joggen durch den Wald.

«Doch auch wer sich viel bewegt, kann nicht einfach sagen: Ich kann jetzt auch mehr Zucker konsumieren», relativiert Ärztin Bettina Wölnerhanssen. Vor allem die spezielle Flüssignahrung für Sportler enthalte viel zu viel Zucker und funktioniere so nicht.

Zucker – der Krankmacher

Herzkreislauf-Erkrankungen sind in der Schweiz die häufigste Todesursache. Übergewicht und Diabetes erhöhen das Risiko für eine solche Erkrankung. Die Krankheitskosten in der Schweiz steigen parallel zum zunehmenden Zuckerkonsum.

Für Lebensmittelingenieur Niklaus Iten, der sich seit Jahren für eine Reduktion von Zucker in Lebensmitteln engagiert, ist klar, dass ein geringerer Zuckerkonsum einen direkten Effekt auf Gesundheit und Gesundheitskosten hätte.

«Ich behaupte, dass wir pro Jahr und Kopf 1000 Franken an Gesundheitskosten einsparen könnten, wenn es uns gelingen würde, den Zuckerkonsum auf ein normales gesundes Level zu bringen».

Vier Wochen voller Hochs und Tiefs

Nach vier Wochen schliesst Familie Rechsteiner die Zucker-Challenge mit einem Bluttest bei Ärztin Bettina Wölnerhanssen ab.

Die Ärztin zeigt sich von den Resultaten beeindruckt: «Alle haben an Gewicht verloren, die Werte für Blutzucker, Blutfette und Insulin haben sich verbessert. Der Unterschied ist erstaunlich gross.» Jetzt wäre der richtige Moment für Familie Rechsteiner, auch in Zukunft auf Zucker zu verzichten.

«Wir sind mit dem Erreichten sehr zufrieden und haben uns fest vorgenommen, nicht wieder in alte Gewohnheiten zurückzufallen», schreibt Familie Rechsteiner im Abschlussbericht.

Die guten Vorsätze haben sich verwässert, alte Gewohnheiten sind wieder zurück.
Autor: Esther Rechsteiner

Doch die Herausforderungen im Alltag sind gross. Drei Monate nach dem Selbstversuch muss Esther Rechtsteiner feststellen: «Die guten Vorsätze haben sich verwässert, alte Gewohnheiten sind wieder zurück.» Trotzdem möchte sie die Erfahrung nicht missen, denn sie hätten sich ohne Zucker sehr wohlgefühlt: «Allerdings hätten wir einfach nicht wieder damit anfangen sollen…»

Die Politik ist gefordert

Eine Zuckersteuer wäre eine Möglichkeit, den Zuckergehalt in Lebensmitteln nachhaltig zu senken. Denn wie Familie Rechsteiner geht es auch vielen anderen: Auch mit den besten Vorsätzen funktioniert die Eigenverantwortung bei der Droge Zucker nur sehr schlecht.

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