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Familienkrise in Japan Die Liebe hat es schwer in Japan

Familien mit kleinen Kindern schaffen es in Japan finanziell kaum über die Runden, die Geburtenrate sinkt, die Einwanderung ist gering. Was läuft schief im Land der aufgehenden Sonne?

Rund 126 Millionen Menschen leben derzeit in Japan, doch nach Zahlen des japanischen Instituts für Bevölkerung und soziale Sicherheitsforschung sollen es im Jahr 2060 rund 40 Millionen Menschen weniger sein, also nur noch rund 86 Millionen Einwohner. Grund für den demographischen Wandel und den Bevölkerungsrückgang sind die tiefen Geburtenraten und die geringe Einwanderung.

Seit über 40 Jahren liegt die Geburtenrate unter zwei Kindern pro Frau. Die tiefste Rate mit 1,26 wurde im Jahr 2005 registriert. Im letzten Jahr betrug sie 1,44 Kinder. Einhergehend mit der tiefen Geburtenrate steigt das Durchschnittsalter der Mütter. In den 1970 Jahren gebar eine japanische Frau ihr erstes Kind durchschnittlich im Alter von 25,6 Jahren. 2016 betrug das Durchschnittsalter der Erstgebärenden 30,7 Jahre.

Zur Person

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Thomas Stalder ist freier Korrespondent für das Schweizer Fernsehen SRF in Japan. Seit 2011 lebt und arbeitet er in Tokio. Zurvor war er lange Zeit Journalist für SRF in Zürich. Japan kennt er seit über 20 Jahren.

Die Wirtschaftskrise hat das Land grundlegend verändert

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren führten zum sozialen und gesellschaftlichen Wandel in Japan. In den 1970 Jahren setzte in Japan der wirtschaftliche Boom ein. Die Löhne stiegen, der Konsum nahm zu. Die frühe Familiengründung und das frühe Kinderkriegen rückten mehr und mehr in den Hintergrund. In den 1990er Jahren platzte die Wirtschaftsblase. Der Aktien- und der Immobilienmarkt brachen ein, und Japan schlitterte in die Wirtschaftskrise. Von dieser Krise hat sich Japan kaum mehr erholt, jahrelang stockte die Wirtschaft. Die Folge sind bis heute tiefe Löhne für junge Angestellte.

Genug zum Überleben – zu wenig um zu leben

Wegen der tiefen Löhne können sich viele junge Paare mit nur einem Einkommen kaum Kinder leisten. Teilzeitarbeit wie in Europa gibt es kaum. Entweder versuchen die jungen Leute eine Festanstellung mit einem 100 Prozent Vertrag zu kriegen oder sie müssen sich mit Stundenarbeit begnügen. Der Mindeststundenlohn in Japan beträgt im Landesdurchschnitt gegenwärtig rund 7.40 Franken und soll laut der Regierung bis ins Jahr 2020 jährlich um 3 Prozent auf schliesslich rund 9 Franken pro Stunde angehoben werden. Gerade in der Grossmetropole Tokio führen die tiefen Löhne dazu, dass sich junge Menschen zweimal überlegen müssen, ob sie sich eine Familie leisten können.

Krippen und Teilzeitarbeit gibt es fast nicht

Das Rollenmuster hat sich bis heute kaum verändert. Die Kinderbetreuung in der Familie liegt noch immer mehrheitlich in den Händen der Mütter, während der Vater der Arbeit nachgeht. Doch aufgrund der tiefen Löhne müssten eigentlich beide Elternteile arbeiten, um sich eine grössere Wohnung und die Ausbildung der Kinder leisten zu können. Krippenplätze aber, sind in Japan Mangelware. Auch müssen die Kinder in vielen Krippen jeden Morgen bei der Ankunft Fiebermessen. Hat das Kind ein wenig erhöhte Temperatur, wird es nach Hause geschickt. Kurzfristig oder über eine längere Zeit «Freinehmen» ist in den meisten Firmen nicht gerne gesehen. Kinder und gleichzeitig eine feste Anstellung zu haben, ist daher schwierig.

Erschwerte Partnersuche

Nicht nur tiefe Löhne und fehlende Krippenplätze führen zu einer tiefen Geburtenrate, sondern auch individuelle Bedürfnisse und unterschiedliche Rollenerwartungen. Gerade die japanische Arbeitswelt ist noch immer von Männern geprägt. Frauen in Führungspositionen sind selten. Doch gerade jüngere Frauen drängen auf ihre Rechte in der Gesellschaft, sie wollen als ebenbürtige Partner sowohl am Arbeitsplatz als auch in einer Beziehung akzeptiert werden. Viele japanische Männer hingegen suchen noch immer eher eine «Hausfrau und Mutter» als Partnerin. Diese unterschiedlichen Erwartungen führen dazu, dass die Partnersuche sowohl für Frauen als auch für Männer schwieriger geworden ist. Lange Arbeitszeiten mit wenig Freizeit erschweren zusätzlich die Partnersuche.

«Solohochzeiten» und «Kuschelcafés»

Im Grossraum Tokio leben rund 37 Millionen Menschen, entsprechend unterschiedlich und zahlreich ist das Verlangen der Männer und Frauen was Partnersuche oder das Befriedigen der Bedürfnisse angeht. Auch wenn die Mehrheit der Japanerinnen und Japanern ihren Lebenspartner auf der Arbeit, im Freundeskreis oder bei Freizeitaktivitäten kennenlernt, ist die Palette anetwas ausgefalleneren Angeboten enorm – schliesslich ist der Markt bei so vielen Menschen gross genug.

«DOK» am Mittwoch

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«Liebesnöte in Japan» , 22. November 2017, 22:55 Uhr, SRF1.

Alleinstehende Frauen, welche gerne einmal romantische Stunden in einem weissen Hochzeitskleid verbringen möchten, ohne gleich einen Ehemann suchen zu müssen, können eine «Solohochzeit» abhalten: Sie heiraten sich für einige Stunden sozusagen selbst, das Erinnerungsfoto ist im Angebot eingeschlossen.

Alleinstehende Männer, welche lieber von nicht widersprechenden jungen Frauen angehimmelt werden, finden ihr Glück in der virtuellen Welt der Videospiele. Der Dokumentarfilm «Liebesnöte in Japan» des französischen Filmemachers Antoine Lassaigne befasst sich mit den Schwierigkeiten bei der Partnersuche und den etwas ausgefalleneren Lösungsansätzen dazu.

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