Wer derzeit in Südamerika einen Kaffee bestellt, egal ob in Peru, Kolumbien oder Argentinien: Die Chance ist gross, dass der Kellner aus Venezuela kommt. Bis zu drei Millionen Menschen sollen Venezuela Schätzungen zufolge inzwischen verlassen haben. Das wären zehn Prozent der Bevölkerung. Die meisten Emigranten bleiben auf dem Kontinent. Anfangs wurden sie in den Nachbarländern willkommen geheissen.
So etwa in Kolumbien: Die Grenzstadt Cúcuta zeigte sich solidarisch. Der Bürgermeister erklärte den venezolanischen Präsident Nicolás Maduro zur Persona non grata. Apotheker gaben Venezolanern rezeptpflichtige Medikamente ohne ein Rezept zu verlangen. Suppenküchen wurden eingerichtet.
«Wir nehmen keine Venezolaner!»
Doch das Bild wandelt sich. Vor kurzem flogen Molotowcocktails auf die Schlafstätte von 900 Venezolanern, die mangels Alternativen auf einem Sportplatz nächtigten. In Peru wurde ein Arbeitgeber abgemahnt, der in einer Stellenanzeige schrieb: «Wir nehmen keine Venezolaner!»
Fremdenfeindlichkeit gegen den direkten Nachbarn macht sich breit. Trotzdem, der Exodus geht weiter. Denn viele Venezolaner fragen sich: Welche Zukunft habe ich in diesem Land? Wie lange dauert diese Krise noch? Wie lange sollen wir uns gedulden?
Die Armut steigt weiter
Eines muss man Nicolás Maduro lassen: Aufgeben, das ist nicht seine Sache. Seit mindestens zwei Jahren titeln internationale Zeitungen, dass seine Tage als Präsident gezählt sind. In den Nachrichten sehen wir Menschen, die stundenlang für ein paar kleine Brote anstehen.
Die Inflation stieg im letzten Jahr auf weit über zweitausend Prozent. Via Twitter suchen verzweifelte Kranke nach Insulin oder Krebsmedikamenten. Die Armutsrate die unter Hugo Chávez (Präsident von 1999 bis 2013) von 49,4 Prozent im Jahr 1999 um beinahe um die Hälfte gesenkt werden konnte, liegt nun Umfragen zufolge bei etwa 80 Prozent.
Die gespaltene Opposition
Die venezolanische Tragödie ist auch die Tragödie der Opposition: Im Dezember 2015 hatte diese die Parlamentswahlen für sich entschieden. Seitdem sind die Armutsziffern explodiert, die Unterernährung steigt, die Spirale der Hyperinflation scheint nicht zu stoppen.
Eine gute Ausgangslage für einen politischen Wechsel, könnte man meinen. Und doch: Maduro regiert und es ist nicht abzusehen, dass sich daran bald etwas ändert. Denn die Opposition ist gespalten.
Ein Teil akzeptiert die Spielregeln Maduros, andere stellen sich dagegen. Dazu kommt, dass sich viele der von Maduro enttäuschten Chavisten einfach nicht vorstellen können, eine konservative, wirtschaftsliberale Opposition zu wählen. Und viele der ganz Armen, deren Überleben etwa von den sogenannten CLAP-Essenspaketen abhängig ist , werden Maduro wieder wählen.
Ungeschickter Bürgermeister
Und, man muss sich auch immer wieder die Augen reiben über diese Opposition. Etwa letztens, als der ehemalige Bürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, in Peru zu Besuch war: Seine Visite galt unter anderem Keiko Fujimori, der Tochter von Ex-Diktator Fujimori. Dieser zeichnet verantwortlich für mehrere Massaker. Die Tochter fungierte von 1994 bis 2000 als First Lady ihres Vaters, nachdem ihre Eltern sich getrennt hatten.
Keiko Fujimori wird der Geldwäsche und der Korruption verdächtigt. Viele fragen sich: Hätte es nicht bessere Gesprächspartner für einen venezolanischen Oppositionellen gegeben, der im Ausland auf der Suche nach Verbündeten ist?
Angst vor militärischer Intervention
Dass es in Venezuela so nicht weiter gehen kann, ist klar. Ein Klientelstaat, der zu den korruptesten der Welt gehört. Versorgungsengpässe, Massenabwanderung, willkürliche Gefangennahmen. Seit US-Präsident Trump eine militärische Intervention ins Spiel brachte, geistert diese Option als Gespenst durch die Medien – und verbreitet Angst.
Ein militärisches Eingreifen in Südamerika, einem Kontinent, auf dem die USA lange Zeit Diktaturen stützten, das lehnen die Nachbarländer bisher ab. Aussenminister Rex Tillerson soll jedoch auf seiner Lateinamerika-Rundreise im Februar Unterstützer für ein Eingreifen der USA gesucht haben.
Wahlen mit Oppostion?
Im Moment sieht es so aus, als würde Maduro die Präsidentschaftswahlen am 22. April gewinnen. Denn zwei der wichtigsten Oppositionsparteien tendieren dazu, nicht teilzunehmen - weil sie eine Manipulation der Ergebnisse fürchten.
Die Regierung hat zudem bereits vor Wochen einige Parteien und auch wichtige Oppositionsvertreter von den Wahlen ausgeschlossen. Mehrere Nachbarländer haben angekündigt, das Ergebnis der Wahlen nicht anzuerkennen. Die Krise in Venezuela ist noch lange nicht zu Ende.