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Keine Gleichberechtigung Frauen fordern ihr Recht

Es ist alltäglich, dass Frauen in der Schweiz im Job diskriminiert werden. Trotz Verankerung des Gleichstellungsartikels in der Verfassung vor fast 40 Jahren. Eine ernüchternde Bilanz.

Natalie Urwyler galt als äusserst begabte Forscherin und Narkoseärztin am Universitätsspital Bern und war auf dem Weg zur Professorin. Kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes bekam sie von ihrem Arbeitgeber die Kündigung. Begründung: «Gestörtes Vertrauensverhältnis».

Kurz zuvor hatte Urwyler eine interne Beschwerde wegen «Diskriminierung und Verhinderung der akademischen Karriere» eingereicht. Sie wehrte sich gegen die Arbeitsbedingungen nach der Rückkehr des Mutterschaftsurlaubs.

Der Rest ist Schweizer Rechtsgeschichte. Urwyler focht die Kündigung an und erhielt im Sommer 2018 auch zweitinstanzlich Recht. Das Berner Obergericht verurteilte das Inselspital wegen einer Rachekündigung aufgrund des Gleichstellungsgesetzes.

«Das Urteil ist für mich schon Gerechtigkeit», sagt Natalie Urwyler. «Es zeigt, dass das Gleichstellungsgesetz funktioniert. Und trotzdem: Im wahren Leben hat es mir nichts gebracht. Meine Karriere ist ruiniert. Aber ich hoffe, dass es ganz vielen Frauen in Zukunft hilft.»

Lohngleichheit in weiter Ferne

Offizielle Zahlen bestätigen: Frauen verdienen im Schnitt deutlich weniger als Männer. In typischen Frauenberufen sind die Löhne vergleichsweise tief, und die Mehrheit der unbezahlten Pflege- und Kinderarbeit wird von Frauen gemacht.

Nach beinahe vierzig Jahren Gleichstellungsartikel in der Verfassung ist die Bilanz ernüchternd: Frauen bleiben im Job auf der Strecke. Noch immer sind überwiegend Frauen für die unbezahlte Familienarbeit zuständig, arbeiten Teilzeit und erhalten im Alter weniger Rente.

Sich für Gleichberechtigung im Arbeitsumfeld einzusetzen braucht Kraft, Mut und Beharrlichkeit. Denn die Gesellschaft steckt fest im Klischee des männlichen Ernährermodells, das Frauen als Ehefrauen und Mütter definiert und ihnen die Nebenrolle als Zuverdienerin gibt. Tatsächlich tauchen die Probleme meist dann erst auf, wenn aus Frauen Mütter werden.

Mütter arbeiten gratis

Edith Tanner betreut und pflegt seit 18 Jahren ihren Sohn Samuel und wird einst von Minimalrente und Ergänzungsleistungen leben. Als pflegende Angehörige hat sie über all die Jahre weit über 200 Prozent gearbeitet und trotzdem kaum etwas verdient.

Ihr Sohn Samuel hat eine Wahrnehmungsstörung und braucht rund um die Uhr Betreuung. «Weil Frauen diese Arbeit schon immer gemacht haben, geht man davon aus, dass das so bleibt», sagt Edith Tanner.

Die Mehrheit der pflegenden Angehörigen in der Schweiz sind Frauen. Doch die Mutter will nicht mehr gratis pflegen und betreuen. Gemeinsam mit ihrem Anwalt geht sie einen anderen Weg: Sie erstreitet sich Lohn und Betreuungsleistungen für ihren Sohn vor Gericht.

Bäuerinnen krampfen ohne Lohn

«Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass einem in der heutigen Zeit so etwas passieren kann», sagt die ehemalige Bäuerin Sarah Schädeli. Nach 17 Jahren Arbeit auf dem Hof und drei Kindern, die sie grossgezogen hat, steht Sarah Schädeli nach der Trennung von ihrem Mann mit leeren Händen da.

Die Mehrzahl der Bäuerinnen bezieht keinen Lohn und ist finanziell nicht abgesichert. Völlig legal. Für Bäuerinnen gibt es keine Sozialversicherungspflicht. Obwohl der Hof, die eigentliche Vorsorge der Bauern, meist dem Mann gehört und im Trennungsfall nicht geteilt wird.

«Die Sklaverei ist abgeschafft», sagt Christine Bühler, ehemalige Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen – und Landfrauenverbandes. «Die Arbeit von Mann und Frau in der Landwirtschaft muss gleich viel Wert sein.» Von Gleichstellung in der Landwirtschaft könne aktuell keine Rede sein - eine Sozialversicherungspflicht ist für die beiden Frauen unumgänglich.

«Gesucht: Frau, die gut mit Kindern kann»

Es gibt eine Geringschätzung von Arbeit, sobald sie Frauen machen. Das zeigen Studien. Die beiden jungen Kinderbetreuerinnen Camilla Carboni und Rebecca Lüthi wissen aus dem Alltag nur zu gut, was das heisst. «Was? Um in einer Krippe zu arbeiten, braucht man eine Ausbildung?», würden sie zum Beispiel immer wieder gefragt.

Oder dann stehe in einem Inserat für eine Kita-Stelle: «Gesucht: Frau, die gut mit Kindern kann». «Das ist einfach nur frech uns gegenüber, die drei Jahre Ausbildung mit pädagogischem Hintergrundwissen hinter uns haben», sagt Rebecca Lüthi. Vor zwei Jahren hatten die beiden genug: Sie gründeten die Gruppe «Trotzphase», die sich für mehr Wertschätzung des Jobs und bessere Arbeitsbedingungen in Kitas einsetzt.

«Früher haben ganz viele Mütter diese Arbeit daheim gratis gemacht. Nun ist der Job ausgelagert und es machen ihn ganz viele Frauen in Kitas zu einem tiefen Lohn», sagt Camilla Carboni. «Diese Geringschätzung von Frauenarbeit muss aufhören.»

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