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Multiresistente Keime Pharma trägt dazu bei, dass Superkeime entstehen

Internationale Pharmakonzerne beziehen Antibiotika-Wirkstoffe aus Indien. Rund um viele lokale Fabriken sind grosse Mengen Antibiotika in der Umwelt. So entstehen gefährliche, resistente Keime, die sich global ausbreiten. Das Risiko einer Infektion steigt.

Ärzte und Politiker warnen vor einer sich abzeichnenden Katastrophe: Antibiotikaresistente Keime bedrohen die moderne Medizin. «Die grosse Gefahr ist, dass unsere Patienten an Entzündungen sterben, die wir für längst besiegt hielten», sagt Rein Jan Piso, leitender Infektiologe am Kantonsspital Olten. Schätzungen zufolge sterben heute schon rund 700'000 Menschen jährlich durch multiresistente Erreger weltweit.

Pharmametropole Hyderabad in Indien

In der Schweiz kennt man diese Superkeime, die gegen fast alle Antibiotika resistent sind, erst seit zirka zehn Jahren. Alle Patienten hätten die Keime im Ausland eingefangen, sagt Rein Jan Piso.

In Asien ist in der Vergangenheit übermässig viel Antibiotika bei Mensch und Tier eingesetzt worden. Das führte dazu, dass Keime gegen die Antibiotika resistent wurden. Besonders viele der Superkeime stammen aus Indien. In der Metropole Hyderabad produzieren dutzende Fabriken für internationale Pharmakonzerne. Ihre Abwässer sollten eigentlich direkt auf den Fabrikgeländen gereinigt und aufbereitet werden, damit keine Antibiotika in die Umwelt gelangen.

Karte Indien mit den Städten Neu Dehli und Hyderabad
Legende: Pharmametropole Hyderabad SRF

Antibiotika in der Umwelt schaffen Supererreger

Deutsche Journalisten haben zusammen mit dem Infektiologen Christoph Lübbert und dem indischen Umweltaktivisten Anil Dayakar vor Ort recherchiert. In der Umgebung der Fabriken nahmen sie Wasserproben, die sie später in deutschen Labors auf Antibiotika und resistente Keime untersuchen liessen.

Das Resultat: In den Wasserproben waren Konzentrationen von Antibiotika, die teils hundertfach oder gar mehrere tausendmal über dem vorgeschlagenen Grenzwert für die jeweiligen Substanzen lagen.

Der Westen hat schmutzige Prozesse exportiert.
Autor: Fritz Sörgel Pharmakologe

Der Verdacht: Die indischen Zulieferer leiten Abwässer zum Teil direkt in die Umwelt. Denn die Reinigung und Aufbereitung von medikamentenhaltigen Abwässern ist aufwändig und teuer. Der Pharmakologe Fritz Sörgel sagt: «Durch die Globalisierung haben wir die schmutzigen Prozesse exportiert. Weil die Arbeitskräfte in Indien günstiger sind.»

Verbreitung von Superkeimen

Experten warnen: Antibiotika dürfen nicht in die Umwelt gelangen, weil sie dort in Kontakt mit Bakterien kommen und nur die besonders robusten überleben. Diese Bakterien sind gegen viele Antibiotika resistent. Ihre Resistenzen geben sie an andere Bakterien weiter, die sich teilen und vermehren: Aus einer Bakterie können innerhalb eines halben Tages mehr als eine Milliarde werden.

Resistenter Keim aus Indien im Basler Abwasser

Die Supererreger aus Indien sind nicht nur in Schweizer Spitälern durch erkrankte Reisende angekommen, man findet sie auch in der Umwelt: Im Basler Abwasser entdeckten Mikrobiologinnen vor zwei Jahren erstmals sogenannte NDM-Resistenzen. «ND» steht für Neu Delhi, weil ein Keim mit dieser Resistenz erstmals dort gefunden wurde. «Wir waren schockiert», sagt Claudia Bagutti vom Kantonslabor Basel.

Der Fund bedeute, dass der hochresistente Keim in der Bevölkerung viel stärker verbreitet sei, als man dachte. Bei immungeschwächten Menschen kann der Keim zu gefährlichen Entzündungen führen. Nur noch wenige Antibiotika wirken.

Novartis und Roche

Auch die Schweizer Pharmakonzerne Novartis und Roche beziehen Wirkstoffe für die Antibiotika-Produktion aus Indien. Novartis schreibt von einem «minimalen Anteil», Roche sagt, die Wirkstoffe für Bactrim stammen von zwei indischen Fabriken.

Die deutschen Journalisten fanden hochresistente Erreger in Wasserproben vor der indischen Pharmafirma MSN. Gemäss MSN-Werbespot gehört die Novartis-Tochter Sandoz zu ihren Kunden. Novartis nimmt dazu nicht Stellung: «Angaben über unsere Beschaffungskette sind vertraulich – nicht nur zu unserem Schutz, sondern auch zu dem unserer Zulieferer».

Angaben über unsere Beschaffungskette sind vertraulich.
Autor: Pressestelle Novartis

Novartis und Roche schreiben, man habe strenge Umweltstandards und erwarte, dass sich alle Zulieferer daranhalten. Kann Novartis aber garantieren, dass keine Antibiotika-Rückstände der indischen Lieferanten in die Umwelt gelangen?

Novartis-Campus in Basel
Legende: Novartis: «Periodische Audits.» Keystone

Der Konzern gibt darauf keine Antwort. Generell schreibt Novartis, man führe «periodisch Audits» durch. Tauche ein Problem auf, erstelle man mit dem Zulieferer einen «Verbesserungsplan» und überwache dessen Umsetzung, damit er korrekt ablaufe.

Wir können nicht garantieren, dass diese Deponie die Umwelt nicht verschmutzt.
Autor: Pressestelle Roche

Roche schreibt, man habe letztes Jahr die Abwässer der indischen Lieferanten untersucht. Sie würden destilliert und dann als Abfall auf eine Deponie gebracht, die dem Staat Indien gehöre. Auf «mehrmalige Anfrage» sei Roche nicht erlaubt worden, diese Deponie zu auditieren. «Wir können daher leider nicht garantieren, dass diese Deponie die Umwelt nicht verschmutzt».

Umweltbedingungen sind bei der Zulassung kein Thema

Immerhin hat der internationale Pharmaverband AMR Alliance im September per Empfehlung Grenzwerte festgelegt, welche Menge an Antibiotika maximal in die Umwelt gelangen darf. Wissenschaftler werten das positiv und kritisieren, dass die einzelnen Staaten zu wenig machen. Die nationalen Zulassungsstellen für Medikamente prüfen die Umweltbedingungen der Pharmafirmen nämlich nicht.

Ein Alleingang der Schweiz ist nicht zielführend.
Autor: Lukas Jaggi Swissmedic

Bei Swissmedic bestätigt Sprecher Lukas Jaggi: Für die Marktzulassung sei nur relevant, ob ein Medikament sicher, wirksam und qualitativ gut sei. Eine Mitverantwortung für die Entstehung von Superkeimen sieht er nicht. Und auch keinen Handlungsbedarf: «Ein Alleingang der Schweiz ist nicht zielführend, weil die Herstellung der Arzneimittel globalisiert ist».

Beim vielschichtigen Thema Antibiotika-Resistenz wird die Verantwortung wie eine heisse Kartoffel von einer Stelle an die andere geschoben. Der Forderung von Wissenschaftlern, die westlichen Staaten müssten Verantwortung für die Abwasserreinigung in Indien übernehmen, weil sie die Produktion der Antibiotika ausgelagert haben, wird beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) widersprochen. Die Annahme, das Problem lasse sich lösen, in dem die Schweiz in Indien Kläranlagen baue, sei falsch, sagt Sektionschef Daniel Koch: «Das ist zu einfach, das Problem ist zu komplex.»

Schweizer Kläranlagen als Keimbildungsstätten

Die Recherche bei Schweizer Kläranlagen zeigt: Zwar wird die Gesamtmenge an Bakterien reduziert, aber ausgerechnet die resistenten Keime vermehren sich auch dort. Dies, weil in den Fäkalien der Haushalte und Spitäler auch Antibiotika-Rückstände sind.

Pikant: Im gereinigten Abwasser der Basler Industrie fand Helmut Bürgmann von der Wasserforschungsstelle Eawag 30 bis 3000 mal mehr resistente Keime als im gereinigten Haushaltsabwasser.

Rocheturm in Basel
Legende: Rocheturm und Rhein in Basel Kläranlagen der Industrie werden nicht umgerüstet. Keystone

Keine Grenzwerte für Superkeime

Ist diese Menge an resistenten Keimen besorgniserregend? Die Forscher wissen es nicht. Zwar gibt es Grenzwerte für den Ausstoss von Antibiotika aus Fabriken aber nicht für resistente Keime. «Das Thema ist neu», sagt Umweltmikrobiologe Helmut Bürgmann, «dass die Umwelt und die Abwässer eine Rolle spielen, wissen wir erst seit ein paar Jahren».

Wegen des neuen Gewässerschutzgesetzes müssen die Schweizer Kläranlagen jetzt umgerüstet werden: Ozon und Pulveraktivkohle sollen über 80 Prozent der Mikroverunreinigungen wie resistente Bakterien herausfiltern. Ausgerechnet die Kläranlagen der Industrie aber werden nicht umgerüstet. Unverständlich für die Forscher. Der Bund sagt: Das nütze wenig und sei zu teuer, weil Pharmafirmen Antibiotika in unregelmässigen Abständen und Mengen produzieren würden.

Dringend gesucht: Neue Antibiotika

Novartis hat diesen Sommer bekannt gegeben, dass der Konzern die Antibiotika-Forschung aufgibt. Ärzte wie Rein Jan Piso kritisieren, die Pharma ziehe sich aus der Verantwortung, weil die Antibiotika-Produktion wenig lukrativ sei. Dies, weil die Preise von Antibiotika vergleichsweise tief seien und das Medikament nur im Notfall verwendet werden sollte.

Da die Zahl der antibiotikaresistenten Superkeime steigt, ist der Markt aber auf neue Medikamente angewiesen. Es braucht neue Modelle zur Finanzierung von Antibiotika. Nur: Wer soll bezahlen? Das weiss heute niemand.

Der Dokfilm zum Thema:

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