In Chur gibt es seit Jahrzehnten eine offene Drogenszene. 90 bis 100 Stammgäste, vor allem Drogenabhängige und Alkoholkranke, treffen sich regelmässig im Stadtgarten.
Reporter Livio Chistell wohnt nur wenige Gehminuten vom zentral gelegenen Park entfernt und traute sich bisher noch nie, durch den Park zu laufen. Damit ist er in Chur nicht alleine. Viele Menschen machen einen grossen Bogen um den Stadtgarten und seine Drogenszene.
Wunsch nach Konsumraum
Am ersten Tag begleiten wir die Streetworkerin Romina Beeli auf einer ihrer Touren durch den Stadtgarten. Sie verteilt hygienisches Spritzenmaterial, pflegt bei Bedarf offene Wunden und spricht mit den Menschen. Sie versteht die Angst, in den Park zu gehen. «Es gibt Geschichten über den Stadtpark, die von Generation zu Generation weitergetragen und auch nicht mehr hinterfragt werden. Es ist einfach so: Man geht nicht in den Stadtgarten.»
Das soll die Reportage ändern. Wir kommen mit verschiedenen Leuten in Kontakt, die über ihr Leben und vom Stadtgarten erzählen. Ueli zum Beispiel verkehrt schon seit 30 Jahren in der Szene und würde sich einen geschützten Konsumraum wünschen. Würde es einen solchen geben, so wie in anderen Schweizer Städten, gäbe es auch keine offene Drogenszene, meint er.
«Base» ist die gängigste Droge
Am dritten Tag lernen wir im Park einen Drogenkonsumenten und Dealer kennen. Dieser lädt uns zu sich nach Hause ein. Vor unseren Augen wird Kokain zu «Base» gekocht. «Base» sei momentan die gängigste Droge im Stadtgarten und habe in letzter Zeit auch viele neue, junge Menschen angezogen.
Der Dealer erzählt, wie brutal es manchmal im Stadtgarten zu und her gehen kann: «Wenn die Süchtigen ihren Stoff brauchen, kennen sie nichts. Für einen ‹Stein› würden sie dich niederstechen.»
Polizei macht regelmässig Kontrollen
Wir sind überrascht von der Offenheit und auch Offensichtlichkeit der Drogenszene in Chur. Während der Dreharbeiten im Park sind wir der Polizei nie begegnet.
Wieso greift die Polizei nicht härter ein? Es sei wohl eher ein Zufall gewesen, dass wir der Polizei nie begegnet seien, sagt der Mediensprecher der Kapo Graubünden, Markus Walser. Sie führten regelmässig Kontrollen durch. «Wenn wir feststellen, dass Leute Betäubungsmittel konsumieren, besitzen oder dealen, bringen wir sie ausnahmslos zur Anzeige. Aber wir können nicht jeden, der in diesen Bereich fällt, verhaften. Der kann grundsätzlich von uns entlassen werden und ist fünf Minuten später wieder im Stadtpark und macht weiter.»
Stadtgarten als zweites Daheim
Elia ist vor 12 Jahren wegen der Drogen obdachlos geworden. Er zeigt uns, wo er in kalten Nächten geschlafen hat. Obwohl er heute nur noch gelegentlich «based», zieht es ihn immer wieder in den Stadtgarten. Dort sei sein Umfeld. Andere Kollegen habe er praktisch keine mehr. Heute lebt er wieder in einer Wohnung und sucht einen Job.
Eine Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte, erzählt, der Stadtgarten sei ihr zweites Daheim. Ihre Mutter habe schon im Stadtgarten verkehrt, sie sei also quasi in diesem Park aufgewachsen. Sie wünscht sich, dass sich mehr «normale» Menschen trauen, in den Park zu kommen: «Wir lassen alle in Ruhe, solange sie uns in Ruhe lassen.»
So hat es auch Reporter Livio Chistell erlebt. Er fühlte sich während der Dreharbeiten nicht bedroht. Allerdings hörte er auch von Streitereien und Schlägereien unter Drogenabhängigen und Dealern, wenn es um den Stoff und um Geld geht.
Ob ein Konsumraum die offene Drogenszene im Stadtgarten auflösen würde, glaubt Chistell nicht. «Es kann schon sein, dass dort die Drogen konsumiert werden, aber gelebt und gechillt wird hier im Park. Der ist für sie wie eine Stube. Ich glaube nicht, dass die Leute wegen eines Konsumraums einfach aus dem Park verschwinden würden.»