Regula liegt nackt auf einem Barren. Ihre Arme und Beine sind mit Seilen befestigt, eine schwarze Maske verbirgt ihr Gesicht. Das Schwarz der Maske schirmt sie ab von der Welt: von Blicken, Erwartungen, Kontrolle. In diesem Zustand fühle sie sich entkoppelt von Alltag und Gedanken, sagt sie später – und dadurch präsenter als sonst: «So bin ich nicht mehr im Kopf – sondern endlich im Körper.» Sie kann nichts sehen, nur spüren.
Vier Hände gleiten gleichzeitig über ihre Haut. Es sind die von Ueli, ihrem Ehemann, und einer Frau, die die beiden in den oberen Stock des Clubs begleitet hat. Wenig später gesellt sich ein weiteres Paar dazu. Zarte Berührungen wechseln sich ab mit leichten Schlägen auf Regulas Hintern. Sie atmet ruhig.
Was wie eine Inszenierung klingt, ist für Regula und Ueli Teil ihrer Realität. Die beiden sind verheiratet und führen eine offene Beziehung. Sie besuchen gemeinsam Swingerclubs. Nicht aus Langeweile, sondern weil sie dort Nähe erleben – auf ihre Weise.
Vertrauen statt Kontrolle
«Ich habe gern mehr als zwei Hände an mir», sagt Regula. Dann könne sie sich dem Moment hingeben. Ueli hingegen genüge manchmal eine ruhige Begegnung. Nähe sei für ihn nicht an Spektakel geknüpft.
Regula hat psychische Krisen erlebt, depressive Episoden. «Ich bin nicht 08/15. Wenn es mir schlecht geht, brauche ich jemanden, der da ist.» Ueli wusste von Anfang an, worauf er sich einliess. «Ich bin ein gebranntes Kind», sagt er. «Ich kenne das von einer früheren Beziehung.» Doch er zögerte nicht lange – für ihn war klar: «Ich versuche es. Weil ich den Menschen und nicht die Krankheit sehe.» Geduld sei entscheidend, sagt er. «Es war nicht immer einfach. Aber wir haben zueinander gehalten.»
Atmosphäre statt Anonymität
Der Club, in dem Regula gefesselt wird, wirkt weder kühl noch aufreizend. Die Räume sind hoch, die Vorhänge geschlossen, warmes Licht fällt auf elegante Sofas. Es läuft leise, stimmungsvolle Musik im Hintergrund. Menschen lachen, trinken, reden. Es fühlt sich nicht an wie an einer Erotikmesse, sondern wie ein Abend unter Menschen, die sich Raum geben. Die Stimmung ist leicht, fast freundschaftlich.
Einige Frauen tragen aufreizende Dessous. Regula hat ein geknüpftes Tuch um den Körper geschlungen. Zu Beginn des Abends steht sie mit einem Rivella an der Bar. Neben ihr: Ueli. Sie sprechen leise miteinander, wirken gelöst. Auf die Frage, wie sie sich fühlen, antwortet Regula: «Ich freue mich auf einen gemütlichen Abend.»
Im Club treffen Regula und Ueli auf andere Paare – manche kennen sie bereits. Ein Mann erzählt, dass er in einer offenen Beziehung lebt, seine Begleiterin ist Single. Die beiden bezeichnen ihre Verbindung als «Freundschaft Plus». Sie sagt, sie fühle sich hier frei. Nicht bewertet, niemand würde über einen richten, man kann man selbst sein.
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Bild 1 von 4. Ueli und Regula sind am Anfang des Abends zu zweit unterwegs – und offen für Begegnungen. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 4. Diese beiden sind kein Paar, aber verbunden: Als «Freundschaft Plus» geniessen die zwei den Abend im Swingerclub. Sie ist Single, er in einer offenen Beziehung. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 4. Seit 44 Jahren ist diese Besucherin mit ihrem Mann zusammen und geniesst alleine oder gemeinsam mit ihrem Partner die Atmosphäre des Swingerclubs: «Du bist als Mensch, als sexuelles Wesen in eben diesem Moment hier – und alles andere ist irrelevant.». Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 4. Swingen mit der Ehefrau – auch für diesen Besucher kein Widerspruch, sondern eine Ergänzung: «Ich erlebe meine Frau hier ganz anders und finde das toll.». Bildquelle: SRF.
Ein Paar, das seit über 40 Jahren verheiratet ist, erzählt, wie sie sich in dieser Welt neu begegnet sind. Die Frau beschreibt, wie sie im Club eine Seite von sich ausleben kann, die im Alltag wenig Raum hat. Ihr Mann sagt: «Ich erlebe meine Frau hier ganz anders, als sie zu Hause ist, und ich kann mich ebenfalls ausleben.» Das gefalle ihm sehr gut.
Körper versus Kopf
Für Regula ist das körperliche Erleben kein Spiel, sondern eine Form der Selbstermächtigung. Die Maske hilft ihr, sich hinzugeben. «Ich sehe nichts. Ich kann nicht kontrollieren, was passiert. Aber ich fühle, dass ich sicher bin.» Loslassen fällt ihr im Alltag schwer – umso wichtiger sind ihr diese Rituale.
Ueli und Regula reden viel, sind dabei ehrlich zueinander. Sie vereinbaren Regeln – und lassen Raum für das, was entstehen kann.
Eifersucht gab es vor allem anfangs. Zwar teilen Regula und Ueli ihre Sexualität mit anderen, nicht aber ihre Herzen. Doch als Regula begann, sich zu verlieben, stellte das ihre Beziehung auf die Probe. «Es war nicht einfach», sagt Ueli. «Das war eine Prüfung.»
Regula suchte früh das Gespräch – offen, ehrlich, direkt. Eine Szene gab es nicht. Keine Heimlichkeiten. «Wir haben das gemeinsam durchgestanden», sagt Ueli. Geblieben ist ein Vertrauen, das tiefer geht als zuvor.
Neue Nähe, andere Normalität
Für Regula und Ueli ist der Club kein Ausbruch aus dem Alltag, sondern ein Ort, an dem sie sich auf eigene Weise begegnen: ohne Rollen, ohne Etiketten. «Ich bin nicht hier als Patientin, nicht als Angestellte oder sonst irgendetwas – sondern einfach als ich», sagt Regula.
Am Ende eines Abends bleiben Gespräche an der Bar, stille Blicke, Berührungen. Und zwei Menschen, die gemeinsam etwas erlebt haben, das ausserhalb des Gewöhnlichen liegt – aber Teil ihrer Normalität geworden ist.