Sandra S. ist Anfang dreissig, als sie eher zufällig erfährt, dass der Mann, von dem sie bis anhin angenommen hatte, er sei ihr Vater, in Wirklichkeit zeugungsunfähig war: «In dem Moment wusste ich, dass ich es einfach herausfinden musste, wer mein biologischer Vater ist».
Das dringende Bedürfnis, mehr über ihren biologischen Vater – jene andere genetische Hälfte – zu erfahren, wurde zur existenziellen Lebensaufgabe für sie: «Ich war nicht nur auf der Suche nach ihm, sondern auch nach mir selbst.»
Die innere Not der Spenderkinder
Erst seit gut vierzig Jahren werden Samenspenden in der Schweiz medizinisch durchgeführt. Damals wie heute gelten dem Kinderwunsch der Eltern sowie den Möglichkeiten der Reproduktionstechnologie das Hauptinteresse von Medizin und Gesellschaft.
Ein Umstand, den Sandra heftig kritisiert: «Es wird ignoriert, dass es eben nicht nur ein «Samen» ist, der da ins Spiel kommt. Was in mir drin steckt, ist das Erbe eines ganzen Menschen.»
Über die seelischen Folgen für die so entstandenen Kinder machte man sich damals keine Gedanken. Ärzte beschworen die Eltern, das Ganze in einen Deckmantel des Schweigens zu hüllen.
Dass solche Themen gerade in Familien so oft verschwiegen werden, erscheint Sandra unverantwortlich: «Oft zerbrechen ganze Existenzen an einem solchen Familiengeheimnis. Man vergisst dabei die Seele der Kinder.»
Sandras Spurensuche führt in die USA
Auch Sandra hätte nie erfahren sollen, dass ihr Spender ein amerikanischer Medizinstudent in Zürich gewesen ist. Denn diesem hatte der behandelnde Arzt Stillschweigen versprochen. Er beharrte deshalb auch dreissig Jahre später darauf, Sandra nur den Vornamen ihres leiblichen Vaters preiszugeben mit der Bitte, nicht weiter nachzuforschen.
Sie wollte sich damit nicht zufrieden geben. Sandra begann in den Immatrikulationsbüchern der Universität Zürich zu recherchieren. Und tatsächlich fand sie mehrere amerikanische Medizinstudenten mit dem Vornamen «Dan» aus jener Zeit.
Gleich beim ersten glaubte sie, fündig geworden zu sein. Sie kontaktierte ihn in San Francisco und er bestätigte alles, nur nicht den Verdacht, zu den damaligen Samenspendern des Züricher Frauenarztes gehört zu haben. Eine DNA-Analyse wollte er aber nicht machen lassen. Und somit stand Sandra wieder vor einem riesigen schwarzen Loch.
Unerwartete Hilfe vom Ahnenforscher
Doch dann kam ihr der neue Trend der immer preiswerter und populärer werdenden DNA-Analyse zu Hilfe. Der Zufall wollte es, dass der passionierte Ahnenforscher Gregory Anderson auf die verzweifelt suchende Sandra stiess und sich ihrer annahm.
Für ihn als Experten war es ein Leichtes, mögliche Spenderväter ein- und andere auszuschliessen. Dabei machten sie eine überraschende Entdeckung. Und schliesslich unternahm Sandra zusammen mit ihrem Partner eine Reise nach Kalifornien, um endlich das Rätsel ihrer Herkunft zu lösen.
Heute weiss sie, wer ihr biologischer Vater ist. Er war Arzt im alten Goldgräberstädtchen Greenville in Kalifornien. Leider ist er bereits verstorben, aber Sandra lernte ihren Halbbruder Mike K. aus Texas kennen, den Gregory Anderson anhand der DNA-Datenbank ausfindig machen konnte.
Sandras Geschichte zeigt exemplarisch, wie gravierend eine ungeklärte Lücke in der eigenen Biografie und Familiengeschichte sein kann.
Zwar müssen Samenspender seit 2001 in der Schweiz zwingend registriert werden. Und die Gesetzeslage sieht mittlerweile auch vor, dass Kinder nach dem 18. Lebensjahr grundsätzlich die Chance bekommen, die Identität ihres Erzeugers zu erfahren.
Auf Grund der immer komplexeren Fortpflanzungsmedizin bleibt die Frage nach den genetischen Ursprüngen jedoch ein Dauerthema.
Und gerade angesichts des anhaltenden technologischen Fortschritts mittels DNA-Pools, Data-Mining und weiterem Vernetzungspotential verdienen die emotionalen Aspekte – das archaische Wissen-Wollen, wo die eigenen Wurzeln liegen – genauso viel, wenn nicht noch mehr Aufmerksamkeit.