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Die Swatch-Modelle aus der ersten Serie von 1983, aufgenommen im Mai 1983.
Legende: Die Swatch-Modelle aus der ersten Serie von 1983, aufgenommen im Mai 1983. Keystone

Schweizer Uhrenindustrie War die ASUAG gar nicht konkursreif?

Die Fusion der beiden Uhrengiganten SSIH und ASUAG im Jahr 1983 wäre gar nicht nötig gewesen. Das behaupten zwei Zürcher Wissenschaftler. Doch Recherchen von SRF DOK zeigen: Ihre These hält einer Prüfung nicht stand.

«The case of the Swiss watch industry» – so die Studie der Wissenschaftler Isabelle Schluep Campo und Philipp Aerni. Die beiden leiten das «Zentrum für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit» der Universität Zürich – eine ernstzunehmende Untersuchung also, denkt man. Die Studie löst denn auch grosses Echo in den Medien aus. «Die etwas andere Swatch-Geschichte», lobt der «Tagesanzeiger». Und die «Schweiz am Sonntag» titelt: «Knatsch um die Uhrenindustrie: Wer hat sie tatsächlich gerettet?».

Die Studie im Detail

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«The case of the Swiss watch industry» von Isabelle Schluep Campo und Philipp Aerni.

Die zwei Wissenschaftler werfen den Banken vor, bei der Fusion der beiden Uhrengiganten SSIH und ASUAG mit fragwürdigen Methoden gearbeitet zu haben. Der eine der beiden, die ASUAG, sei nämlich nicht konkursreif, sondern gut aufgestellt gewesen:

Willkürliche Abschreibungen

Philipp Aernis These: Die Banken hätten die ASUAG mit willkürlichen Abschreibungen in die Enge getrieben. Motiv: Eigene Fehler kaschieren. Insbesondere der Generaldirektor der Schweizerischen Bankgesellschaft, Peter Gross, habe so sein Versagen bei der SSIH-Sanierung verdecken wollen.

Harte Anschuldigungen. Die Beweise? Die habe und kenne der ehemalige ASUAG-Buchhalter Dirk Schröder, sagen die zwei.

Wer ist Dirk Schröder?

Er nennt sich heute «Universalgelehrter und Grossmeister der chaldäischen Kabbala. Reformator, Weltverbesserer und überzeugter Populist». Er habe im April 1995 «nach einjähriger Arbeit (...) 'die Weltformel' mit grundlegenden Aufdeckungen» entdeckt, schreibt Schörder über sich.

Angaben zu Dirk Schröder
Legende: Dirk Schröder, ein Universalgelehrter? SRF

Doch weg von der Esoterik, zurück zur Uhrenindustrie. Publiziert hat Schröder seine Behauptungen in einem sogenannten «Bieler Wirtschaftsbrief» im Jahr 1991. Eine 15-zeilige Notiz, mehr nicht:

«Bieler Wirtschaftsbrief» von 1991
Legende: «Bieler Wirtschaftsbrief» von 1991 SRF

SRF-DOK traf Dirk Schröder in Biel. Er weigerte sich allerdings, Belege für seine These vorzulegen. «Abbruch der Beziehung», mailt er später. Die Gründe dafür «möchte ich für mich behalten», schreibt er. Ende der Durchsage? Die beiden Zürcher Wissenschaftler sagen, die ASUAG- Steuererklärung, von Schröder ausgefüllt, belege das. Doch sie haben diese nie gesehen, und sie haben auch den Esoteriker nie persönlich getroffen:

Ein simples Telefongespräch also, vornehm «Personal communication» genannt, ist die Grundlage für die Anschuldigungen. Doch SRF DOK fand Dokumente, die das damalige Vorgehen der Banken erläutern. Allerdings nicht bei Dirk Schröder, sondern im Schweizerischen Bundesarchiv und im Institut für Zeitgeschichte an der ETH.

Ein Dokument im ETH-Institut für Zeitgeschichte zeigt auf 16 Seiten detailliert auf, was die einzelnen ASUAG-Tochterfirmen damals wert sind. Es ist die Grundlage der Fusion. Grundsatz: ASUAG-Guthaben, die mutmasslich wertlos sind, sogenannte Debitoren-Ausstände, werden abgeschrieben, das heisst mit null Franken bewertet. Ein Auszug aus dem Papier:

Auszug aus dem Bericht des Bundesarchivs zur ASUAG
Legende: Auszug aus dem Bericht des Bundesarchivs zur ASUAG SRF

Damit korrigierten die Banken die aus ihrer Sicht Schönwetter-Buchhaltung der finanziell angeschlagenen ASUAG. Nur befreit von solchen Altlasten, so die Überlegung, werde eine Fusion erfolgreich. Die Bewertungsgrundsätze tauchen im offiziellen, für alle zugänglichen Geschäftsbericht der ASUAG wieder auf:

Titel des Berichts zur ASUAG (Allgemeine Schweizerische Uhrenindustrie)
Legende: Titel des Berichts zur ASUAG (Allgemeine Schweizerische Uhrenindustrie) SRF

Verluste der Minderheiten-Aktionäre

Keine Willkür also, sondern nachvollziehbare Neubewertungen. Warum also die Aufregung, warum diese Polemik gegen die letztlich erfolgreiche Fusion? Als Motivation für ihre These nennen die Autoren u. a. die Verluste der Minderheitsaktionäre der maroden Uhrenindustrie.

Nicht die Arbeiter also, die schwer unter der Krise leiden mussten, stellen die Autoren ins Zentrum. Sondern die damaligen Miteigentümer der Uhrenindustrie, die es in der Hand hatten, das Steuer rechtzeitig herum zu reissen. Sie seien «enteignet worden». Es geht um die Minderheitsaktionäre der Ebauches SA, einer Tochterfirma der maroden ASUAG:

Auch SRF DOK hat mit ihnen gesprochen. Sie beschwerten sich wortreich über die ihnen angeblich widerfahrene Ungerechtigkeit – vor der Kamera wollten sie allerdings nicht Stellung nehmen.

Massiv verrechnet

Später muss Philipp Aerni allerdings gegenüber SRF-DOK einräumen, dass er sich massiv verrechnet habe. Er wählte ein falsches Eintauschverhältnis für die Ebauches-Minderheitsaktionäre. SRF-DOK fand nämlich im ETH-Institut für Zeitgeschichte das Dokument, welches das richtige Eintauschverhältnis zeigt: Ein grosszügiges Angebot, urteilt der renommierte Wirtschaftshistoriker und Uhrenindustrie-Spezialist Bruno Bohlhalter.

Gestützt auf dieses Dokument und seinen eigenen Nachforschungen rechnet er: Die ASUAG-SSIH Aktien, die ein Minderheitsaktionär damals für 4 Ebauches-Aktien mit Substanzwert von rund 2880 Franken erhalten hat, haben heute einen Wert von zirka einer Million in Swatch Group Aktien (inkl. Dividenden und Wertsteigerung). Die durchschnittliche Jahresrendite betrage – so die Berechnungen von Bohlhalter – sage und schreibe 148,5 Prozent.

Ombudsstelle: «Dokfilm über Schweizer Uhrenindustrie war korrekt»

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Die Beanstandung des Zürcher Wissenschaftlers Philipp Aerni gegen den Film hat der Ombudsmann in seinem Schlussbericht abgewiesen.

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