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Schwierige Jugendliche Das Jugendheim als Chance

Im vergangenen Jahr wurden mehr Jugendliche fremdplatziert als 2015. Im langjährigen Vergleich begehen weniger Jugendliche in der Schweiz eine Straftat. Ein wichtiger Grund für diesen Trend ist das Internet, sagen Experten. Fakten und Zahlen über Jugendkriminalität und Fremdplatzierungen.

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Hanspeter Bäni arbeitet als Videojournalist. Seine Filme und Reportagen widmen sich gesellschaftspolitischen Themen und haben mehrfach nationale Diskussionen ausgelöst.

Jugendliche, die heute in Heimen wohnen, sind häufig traumatisiert und psychiatrisch auffällig. Drei von vier leiden an Störungen des Sozialverhaltens, an Depressionen, Schizophrenie, Persönlichkeits- und Aufmerksamkeitsstörungen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, der Universitätskliniken Basel und Ulm.

Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz und das Strafrecht (Gewaltanwendung, Diebstahl, Einbrüche) sind häufig äussere Anlässe, die einer Einweisung in ein Jugendheim vorausgehen. Die Jugendlichen werden überwiegend spezialisierten Einrichtungen anvertraut. Jugend-Platzierungen können sowohl vorsorglich als auch in einem Urteil angeordnet werden. Als vorsorgliche Unterbringung gelten Untersuchungs- oder Sicherheitshaft, stationäre Beobachtung sowie Platzierungen in offenen oder geschlossenen Institutionen oder in Familien.

Mehr fremdplatzierte Jugendliche

2016 wurden im Vergleich zum Vorjahr mehr Jugendliche vorsorglich fremdplatziert (+13 Prozent, + 31 Jugendliche). Dieser Anstieg hat mit einer vermehrten Straffälligkeit bei Jugendlichen zu tun, ist aber auch auf eine Praxisänderung der Jugendanwaltschaften zurückzuführen, die mehr stationäre Massnahmen verordneten.

Laut Bundesamt für Statistik waren 2016 schweizweit 477 Minderjährige nach Begehung einer Straftat ausserhalb ihrer Familien platziert. Das sind 5 Prozent mehr (+22 Personen) als im Vorjahr. 93 Prozent der 2016 fremdplatzierten jungen Menschen (444 Personen) gehören der ständigen Wohnbevölkerung an. 65 Prozent besitzen einen Schweizer Pass. Knapp neun von zehn Fremdplatzierten sind männlich, 84 Prozent der Minderjährigen sind über 15 Jahre alt. In Basel stieg 2016 die Jugendkriminalität um mehr als 30 Prozent.

Im Kanton Basel-Land – wo der Film «Im Jugendheim» gedreht wurde – ist eine Zunahme von fast 80 Prozent der Jugendkriminalität zu verzeichnen (282 auf 504 Fälle). Laut Kripo-Chef Martin Grob ist die starke Zunahme auf eine Jugendbande zurückzuführen, die zahlreiche minderschwere Gewaltstrafen verübt hatte.

Weniger Jugendkriminalität

Gesamtschweizerisch nimmt die Jugendkriminalität aber signifikant ab. Der langjährige Trend liegt seit 2010 bei minus 45 Prozent. Laut Studien und Statistiken gibt es weniger Gruppentäter, weniger Gewalt und weniger unbekannte oder anonyme Täter. Die Folge der guten Nachricht ist, dass Jugendgefängnisse und Heime geschlossen werden müssen. Eine Analyse der NZZ kommt zum Schluss, dass vor allem die Gewaltkriminalität der Jugendlichen aus dem Balkan abgenommen hat, die vor 2010 Spitzenwerte erzielt hatte. Diese Generation von Menschen aus dem Balkan ist inzwischen erwachsen. Verstärkt wurde auch die Polizeipräsenz an neuralgischen Orten in den Städten, was auch zum Rückgang der Jugendkriminalität beigetragen hat.

Das Internet macht die Jugend brav

Die Teenager von heute werden weniger straffällig, nehmen die Ausbildung ernster und leben gesünder als die Jugend in den 1990er und zu Beginn der 2000er Jahren. Dies stellt Marcel Riesen-Kupper, Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Jugendstrafrechtspflege, fest.

Gemäss einer aktuellen Studie aus Dänemark ist auch das Internet ein wichtiger Grund für das historische Tief der Jugendkriminalität. Handy, Computer und Tablets «beruhige» die Jugend, so der Tenor. Statt wie früher vor Einkaufszentren und Bahnhöfen herumzulungern und Mist zu bauen, sässen Jugendliche heute in ihrer Freizeit zu Hause vor ihren Bildschirmen, sagt der dänische Studienleiter und Kriminologieprofessor Flemming Balvig. Aus diesem Grund gibt es heute mehr Taten im Zusammenhang mit den neuen Medien, zum Beispiel Sexting (Erpressung mittels sexueller Bilder).

Heimaufenthalt hat meistens positive Auswirkungen

Gut 80 Prozent der jungen Menschen in Heimen erreichen im Laufe eines Jahres die Ziele, die sie sich gemeinsam mit den Betreuerinnen und Betreuern gesetzt haben, so die Studie der Universitätskliniken Basel und Ulm. Die Studie zeigt auch, dass die psychischen Belastungen der Kinder- und Jugendlichen, die in Einrichtungen leben, im Laufe der Jahre abnehmen.

Sie machen also Fortschritte auf dem Weg zum Ziel, das jeder Heimaufenthalt hat, nämlich die Kinder und Jugendlichen zu selbständigen Menschen zu erziehen, die in der Gesellschaft bestehen können. Grundsätzlich wird heute zuerst eine ambulante Massnahme ergriffen, bevor eine Platzierung in einer Institution infrage kommt. Marc Schmid, Mitautor der Studie sagt, dass heute junge Menschen nur noch ins Heim eintreten, wenn alle anderen Versuche gescheitert sind.

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