Manchmal kaufe ich diesem Verkäufer eines dieser Hefte ab: «Surprise» – das Strassenmagazin. Manchmal haste ich an jenem Verkäufer vorbei und hoffe insgeheim, dass er mir das nicht übel nimmt. Manchmal, wenn ich grad einen Fünfliber im Hosensack habe, gebe ich ihm diesen und verzichte auf das Heft. Aber immer sehe ich ihn, rot gekleidet, auffällig und doch stets zurückhaltend. Egal, welche Person in dieser roten Jacke mit der Aufschrift «Surprise» steckt, ich weiss nichts über sie, nur, dass sie mich immer sehr freundlich grüsst und nie zum Kauf drängt. So war das bis zu diesem Frühling.
Während der Dreharbeiten zum Reportage «Die vergessenen Sehenswürdigkeiten» lernte ich ein paar dieser Verkäufer kennen. Genauer gesagt, ich traf vier der über 350 Verkäuferinnen und Verkäufer, welche in der Deutschschweiz fast jeden Tag an einer Ecke, bei einem Bahnhofsaufgang oder an einer Kreuzung stehen. Sie stehen da bei Hitze und Kälte, bei Schnee und Regen und scheinen stets zufrieden mit sich und der Welt zu sein.
Inzwischen kenne ich die Lebensgeschichten dieser vier Männer und bin beeindruckt. Sie, die in der «Leistungsgesellschaft» keinen Platz gefunden zu haben scheinen, beeindrucken mich durch ihre Leistung. Sie kämpfen sich Tag für Tag zurück. Nicht nur, um ihre zum Teil hohen Schulden abzubauen, sondern auch zurück in die Sichtbarkeit. Einer von ihnen ist Peter Conrath. Er bringt es auf den Punkt, wenn er von Obdachlosigkeit und Armut spricht. Beides ist ein Teil unserer Gesellschaft.
Die Verkäufer gibt es seit 1997. In den Jahren 2013 (Basel) und 2014 (Zürich) kam zu den Strassenmagazinen der soziale Stadtrundgang dazu. Ausgewählte «Surprise»-Mitarbeiter führen Interessierte durch die Stadt von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit. Gassenküchen, Notschlafstellen, Obdachlosentreffpunkte, Hilfswerke – die Besucher werden an Orte geführt und dort über Einrichtungen aufgeklärt, von denen die meisten Menschen im Alltag nichts erfahren. Dazu erzählen sie interessante und berührende Geschichten aus ihrem Leben.