Was uns dabei am meisten erstaunt hat: Wie genau schon diese Kinder wissen, was wir im Westen tun – oder eben nicht tun, um ihnen zu helfen.
Bashars Geschichte treibt uns die Tränen in die Augen. Der Krieg hat ihm seinen Vater geraubt, seine Kindheit – und sein linkes Bein. Bashar hat das alles bei vollem Bewusstsein erlebt. «Ich sah, wie mein Vater starb.» Seit dem Tag, der sein Leben aus den Angeln gehoben hat, ist ein Jahr vergangen.
Jetzt sitzt Bashar in einem kleinen Zimmer in einem Flüchtlingslager in Beirut im Libanon und hat kaum Hoffnung, sein altes Leben je zurückzugewinnen. «Der Tag, an dem ich wieder gehen kann, wird der schönste Tag in meinem Leben sein», sagt Bashar, dessen linkes Bein unterhalb des Knies amputiert wurde.
Das Geheimnis von Bashar
Mein libanesisches Filmteam und ich treffen aus reinem Zufall auf Bashar: Seine Cousins führen uns zu ihm, als wir mit ihnen einen Film über Kinderarbeit unter syrischen Flüchtlingen drehen. Bashars Augen, die trotz seines traurigen Schicksals leuchten, fesseln uns sofort, ohne dass wir genau sagen können weshalb.
Es ist eines der Geheimnisse von Bashar, dass er einen nicht unberührt lässt. Auch deshalb beschliessen wir, mit ihm in Kontakt zu bleiben und seine Geschichte zu verfolgen. Es wird ein Jahr voller Enttäuschungen, aber auch voller Hoffnung.
Selbst die Zehnjährigen sind auf Arbeitssuche
Bashars Traum ist es, wieder gehen zu können. Weil ein Mann, der nicht gehen kann, in seinen Augen kein richtiger Mann ist. Weil er dann seine Familie nicht unterstützen kann. Was bitter nötig wäre: Um die Familie im libanesischen Exil über Wasser zu halten, müssen selbst die zehnjährigen Cousins auf Arbeitssuche gehen. Sie verdienen im besten Fall 20 Dollar. Pro Woche, nicht pro Tag! Das Problem ist: Bashar bräuchte nicht 20 Dollar.
Bashar bräuchte 6000 Dollar, um sein kaputtes Bein operieren zu können. Aber wie soll er die beschaffen, wenn schon die 600 Dollar für die Miete der 4-Zimmer-Wohnung die 45-köpfige Grossfamilie an den Rand der Möglichkeiten bringen?
Bildung bleibt ein Traum
Die syrischen Flüchtlingskinder in Beirut haben kaum Perspektiven. Die wenigsten können zur Schule gehen, denn im Libanon gibt es inzwischen mehr syrische Flüchtlingskinder als libanesische Kinder. Und weil es selbst für diese kaum genügend Platz gibt, ist es für die syrischen Kinder noch viel schwieriger.
Doch ohne Ausbildung haben diese Kinder keinerlei Zukunftsaussichten. Dabei würde Bashar am liebsten Arzt werden. Oder Lehrer. Was irgendwie logisch ist: Ärzte und Lehrer sind diejenigen Menschen, die Bashar am meisten helfen könnten.
Alles dreht sich ums Überleben
Die Geschichte von Bashar zeigt exemplarisch, was es heisst, Flüchtlingskind zu sein. Was der Krieg in Syrien anrichtet. Selbst das Leben der Kinder dreht sich permanent um die Frage: Haben wir genug Geld, um morgen Essen zu kaufen? Die Miete zu bezahlen? Oder lebensnotwendige Medikamente zu kaufen?
Was uns dabei am meisten erstaunt hat: Wie genau schon diese Kinder wissen, was wir im Westen tun – oder eben nicht tun, um ihnen zu helfen. Und dass dieses Wissen zunächst Erstaunen auslöst, dann Unverständnis – und am Ende Wut oder gar Hass.