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SRF DOK «Bei jedem Atemzug ein Schritt»

Als mich der 97-jährige Herr Müller bei der Rigi-Bahn trifft, schimpft er mich aus – in der Hand meine Kamera, auf dem Rücken ein schwerer Rucksack: «Mit diesem Gepäck schaffen Sie es nie auf die Rigi, Sie können grad wieder umkehren!» Autorin Helen Arnet über einen ganz speziellen Aufstieg.

Zur Autorin

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Helen Arnet kam 1998 zum Schweizer Radio und Fernsehen und arbeitete als Redaktorin und Inputerin bei «Schweiz aktuell», sowie als Videojournalistin für «Fernweh». Seit 2009 realisiert sie Filme für «Reporter» und «DOK».

Nach einer Viertelstunde Aufstieg bekommt Herr Müller beinahe recht: Als ich zum Drehen des atemberaubenden Panoramas die Kamera auf einen Weidepfahl stelle, rutsche ich aus und stürze – wegen des schweren Rucksacks auf meinem Rücken – kopfvoran über einen Stacheldrahtzaun eine steile Wiese hinunter. Es hätte böse enden können…

Der Weg ist das Ziel

Ich bin froh, haben meine Kamera und ich den Sturz über den Zaun einigermassen unbeschadet überstanden. Denn der Gang auf die Rigi an der Seite des 97-jährigen Herrn Müller war ein Erlebnis, das noch lange in mir nachhallen wird. Die Wanderung wurde für mich zum Sinnbild für ein bewusst gelebtes Leben – langsam, aber unbeirrbar und gleichmässig wie eine Nähmaschine, kämpft sich Hansjörg Müller bergauf Richtung Rigi-Kulm. Wieviel Zeit er für den Aufstieg benötigt, interessiert ihn nicht im geringsten – wichtig ist nur, dass er oben ankommt.

«Reporter»

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«Der alte Mann und der Berg» , Sonntag, 6. März 2016, 21:40 Uhr auf SRF 1.

In seinem gleichmässigen Schritt – «bei jedem Atemzug ein Schritt» – hat Hansjörg Müller genug Energie und Atem, mich an seinem reichen Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen. Herr Müller ist auch im hohen Alter noch ganz Chemiker und betrachtet das Leben von einem naturwissenschaftlichen Standpunkt aus. Lähmende und ängstigende Emotionen lässt er erst gar nicht in sich aufkommen. Dem Tod beispielsweise sieht er mit Gelassenheit entgegen: «Ich hatte keine Probleme damit geboren zu werden, ich werde auch keine Probleme damit haben zu sterben. Wir kommen und wir gehen.» Dass ihm dabei der Glaube eine wichtige Stütze ist, überrascht mich zusätzlich.

Im Moment leben

Früher unternahm Hansjörg Müller gemeinsam mit seiner Frau Wanderungen. Seit er Witwer ist, wandert er alleine. Ob er seine Frau nicht vermisse, frage ich ihn. «Es hat keinen Sinn, dem nachzutrauern, was vorbei ist.» Jetzt habe eben ein neuer Lebensabschnitt angefangen, sagt der 97-jährige Mann, als hätte er noch viele Jahrzehnte vor sich. Und es habe auch keinen Sinn, sich über die Zukunft Sorgen zu machen: «Man muss es einfach nehmen, wie es kommt, eines nach dem anderen…». So ist Herr Müller bis jetzt gut durchs Leben gekommen.

Hansjörg Müller ist ein beeindruckender Mann, ganz und gar unsentimental, pragmatisch und dabei äusserst liebenswürdig und zuvorkommend. Ich bin wirklich froh, hat Herr Müller mich mit meiner schweren Ausrüstung nicht gleich wieder nach Hause geschickt. Und was sind schon eine zerrissene Hose und ein paar blaue Flecken, wenn man dafür einen rundum zufriedenen alten Menschen kennenlernen darf?

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