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SRF DOK Chinesen als Touristen: Nur laut und ungehobelt?

«DOK» zeigt, wie chinesische Touristen durch Europa rasen – 6 Länder in 10 Tagen. Besonders beliebt sind die Touristengruppen aus China nicht. Im Internet kursieren Videos, die zeigen wie Chinesen ein Buffet stürmen, Müll liegen lassen und öffentlich urinieren. Was ist dran am miserablen Ruf?

Zur Person

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Simon Bosshart ist Marktgruppenleiter Asien Pazifik für Schweiz Tourismus. Seit 10 Jahren leitet er operativ die Marktvertretung in China und lebte sieben Jahre in Peking.

SRF DOK: Sie plündern die Essenbuffets, sie lärmen und rauchen trotz Verboten, sie spucken auf den Boden oder urinieren sogar in der Öffentlichkeit. Kaum eine Nation hat als Touristen einen derart miserablen Ruf wie die Chinesen. Zu Recht?

Simon Bosshart: Im touristischen Massengeschäft trifft dies teilweise sicherlich zu. Da sind Chinesen oft laut, dominant und chaotisch. Ich habe auch schon meine Erfahrungen gemacht: Zum Beispiel, wenn chinesische Gäste trotz Rotlicht einfach der Gruppe hinterher eilen. Oder wenn sie sich – kaum ist das Flugzeug gelandet – losschnallen und aufstehen. Über solche Sachen rege ich mich auch auf. In der Schweiz aber nimmt diese Form von Gruppenreisen ab – wir stellen fest, dass Chinesen immer mehr zu Individualreisenden werden und immer öfter in Kleingruppen unterwegs sind. Diese Wahrnehmung von chinesischen Touristen wird sich daher bei uns verändern, davon gehe ich aus.

Ist das denn bei den Chinesen selbst auch ein Thema, ihr schlechtes Image als Touristen?

Definitiv, Chinesen sind sehr «gesichtsbewusst», und ihr Image als Nation in der Welt bedeutet ihnen viel. Letzte Woche ist zum Beispiel in den chinesischen sozialen Medien das Video einer Pekinger Touristin kursiert, die sich lautstark über das rücksichtslose Verhalten einer Landesfrau aus Ostchina mockiert. Das Video hat inzwischen weit über 100'000 Downloads und nahezu 14'000 Likes erhalten.

Derartige Berichte sind keine Seltenheit und führen in der Öffentlichkeit immer wieder zu heftigen und engagierten Diskussionen und Kommentaren.

Und beim Staat?

Natürlich engagiert sich auch der Staat in diesem Sinne. Er geht sogar soweit, dass er ein Tourismusgesetz erlassen hat, in welchem das korrekte Verhalten von Chinesen als Gäste im Ausland geregelt wird. Unter anderem sollen sie die kulturellen Traditionen und die Religion respektieren und die Umwelt schützen – per Gesetz, wohlverstanden.

In unserem Film zeigen wir eine solche Massengruppe von Chinesen, die mit dem Bus in 10 Tagen durch 6 europäische Länder reist, Schweiz inklusive. In dieser Dokumentation sind sie sehr interessiert an der europäischen Kultur und machen gelegentlich auch witzige Sprüche, zum Beispiel über uns Schweizer. Wie sehen die Chinesen denn eigentlich uns?

Die Schweiz geniesst unter Chinesen weiterhin ein sehr positives Image, und hier ist auch die Bevölkerung mit gemeint. Bezüglich Gastfreundschaft und Freundlichkeit erhält die Schweiz gute Noten, sie schätzen auch Tugenden wie Sauberkeit, Verlässlichkeit und Präzision, natürlich auch mit Blick auf Produkte «Made in Switzerland». Allerdings höre ich manchmal auch von meinen chinesischen Freunden, dass wir «viereckige Köpfe» hätten. Im Klartext: Mangelnde Flexibilität und zu langsame Reaktion.

Der Chinesische Reisetourismus in der Schweiz ist rückläufig, wie stark ?

Seit dem vergangenen Oktober reisen weniger Chinesen in die Schweiz. Für die ersten fünf Monate des Jahres 2016 verzeichnen wir aus China einen Rückgang von minus 10,7 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode. Dieses Resultat ist aber gleichzeitig zu relativieren. In den letzten Jahren ist der chinesische Tourismus sehr stark gewachsen, sodass wir zum Jahresende 2016 mit dem zweitstärksten Jahr rechnen, das wir je hatten.

«DOK» am Mittwoch

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«6 Länder in 10 Tagen» , Mittwoch, 24. August 2016, 22:55 Uhr, SRF1.

Sie haben gesagt, dass der chinesische Massentourismus ein Auslaufmodell ist – woran merken Sie das konkret?

Von einem Auslaufmodell kann man nicht sprechen. Noch immer ist das Grossgruppengeschäft weit grösser als das Individualgästegeschäft, und macht immer noch etwa 65 bis 70 Prozent der jährlichen Hotellogiernächte aus.

Wir stellen aber eine Verlagerung der Destinationen fest. Interlaken, Luzern und Engelberg beispielsweise zogen eindeutig grosse Gruppen an. Dort hat das Geschäft in der ersten Jahreshälfte gelitten. Vermehrt besuchen Chinesen jedoch St. Moritz und Zermatt – das sind eher Destinationen für kleine Gruppen oder sogar Einzelreisende. Ein guter Indikator sind da übrigens die Zahlen der SBB, die das belegen.

Chinesische Touristen – Reisen ohne Anstand

Terrorangst, kompliziertere Visumregelungen, starker Franken – das alles spricht gegen eine Reise nach Europa und in die Schweiz. Wer profitiert?

Vergessen wir nicht, dass sich in China selbst die Wirtschaft auch abgekühlt hat. Da sitzt das Geld für eine Reise auch nicht mehr so locker. Die USA haben unter der Administration Obama jedoch die Ärmel hochgekrempelt und viel investiert. Sie haben eine neue Tourismusagentur «Brand USA» gegründet. Chinesen haben nun die Möglichkeit, ein 10-Jahres Visum zu erhalten und bei den Preisen ist die USA sehr attraktiv. Ein «Profiteur» ist also die USA. Doch die Chinesen reisen auch immer mehr in «exotische» Destinationen – nach Osteuropa, Island, an den Nord- und Südpol. Da gibt es noch viel zu entdecken, für die Chinesen!

Vielen Dank, Simon Bosshart für dieses Gespräch.

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